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Mir haben kinderfreie Vorbilder gefehlt
Wenn ich mich heute in meiner „bewusst-kinderlos-lebende-Menschen-Bubble“ umsehe, fallen mir immer wieder vor allem jene (vorzugsweise) Frauen auf, die sich offenbar schon ihr Leben lang der Tatsache bewusst waren, niemals Mutter werden zu wollen. Denn viele von ihnen konnten bereits in jungen Jahren den klar definierten Wunsch äußern, kinderlos glücklich zu sein – ganz gleich, ob sie dabei in ihrem Umfeld unterstützt wurden, oder nicht. Ich für meinen Teil habe zu jenen Frauen gehört, die lange Zeit nichts davon wussten, keinen Kinderwunsch zu haben. Oder anders formuliert: Ich für meinen Teil habe lange zu jenen Frauen gehört, die immer dachten, der Kinderwunsch werde sich schon irgendwann einstellen und eines Tages nervös wurden, als sie merkten, dass dies nicht einfach so auf Knopfdruck passiert.
"Statt eines klar kommunizierten Nicht-Kinderwunsches hat sich plötzlich viel eher der Gedanke manifestiert, der Kinderwunsch werde sich schon noch bemerkbar machen. Irgendwann. Tat er aber nicht und meine Unsicherheit wuchs."
Ich war also nervös. Denn auch wenn ich vermutlich bereits im tiefsten Inneren meines Herzens wusste, dass ich mich nicht als Mutter sehe, habe ich mich dennoch lange Zeit nicht getraut, diese Tatsache auch laut auszusprechen. Denn für mich hatte das laute Benennen dieser Tatsache etwas damit zu tun, vor anderen Menschen blank zu ziehen und womöglich auch anzuecken. Denn wenn man ausschließlich umgeben ist von Leuten, die sich in ihrer Zukunft als Eltern sehen oder es möglicherweise schon sind, ist der vermeintlich folgerichtige Gedanke, dass man eine Art Störfaktor in diesem Gefüge darstellt. Und wer will schon freiwillig anecken? Ich für meinen Teil wollte das damals zumindest nicht.
Und so wusste ich lange Zeit nicht, wie ich mit den typisch übergriffigen Fragen à la „Na, wann ist es denn bei dir endlich mal so weit?“ oder Kommentaren wie „Denk daran, deine biologische Uhr tickt“ umgehen sollte. Vielmehr habe ich mich zurückgezogen und mich in Floskeln oder dem unbeholfenen Versuch, möglichst schnell das Thema zu wechseln, verloren. Und statt eines klar kommunizierten Nicht-Kinderwunsches hat sich plötzlich viel eher der Gedanke manifestiert, der Kinderwunsch werde sich schon noch bemerkbar machen. Irgendwann. Tat er aber nicht und meine Unsicherheit wuchs.
"Mir haben kinderfreie Vorbilder gefehlt. Obwohl einige von ihnen – wie ich inzwischen weiß – immer in meinem Dunstkreis anwesend waren."
Heute weiß ich: Mir hat damals der Austausch mit anderen selbstbestimmt kinderlosen Menschen gefehlt. Mit „damals“ sind übrigens meine Zwanziger gemeint. In dieser Zeit war Instagram noch eine Foto-App, auf der Urlaubs-Schnappschüsse geteilt wurden, während Facebook genutzt wurde, um alte Schulfreund:innen oder vergangene Liebschaften wiederzutreffen. Von Austausch, Community Management oder persönlichem Storytelling unter Hashtags wie #childfreebychoice oder #kinderwunschlosglücklich waren die Apps noch weit entfernt. Umso mehr merkte ich im real Life, dass es mir schwer fiel, ehrlich zu benennen, dass sich ein Kinderwunsch schlichtweg nicht einstellen wollte – obwohl ich das ja eigentlich als nichts Schlimmes empfand. Schlimm war für mich der fehlende Austausch. Dass ich so viele meiner Gedanken mit mir selbst besprechen musste. Und dass ich jahrelang wahnsinnige Hemmungen hatte, meinen Nicht-Kinderwunsch auszusprechen – in der Sorge, damit andere Menschen verletzen zu können. Dass das kompletter Mumpitz ist, weiß ich inzwischen natürlich nur allzu gut – umso mehr hätte ein ehrlicher Austausch mit anderen selbstbestimmt kinderlos lebenden Menschen mir vielleicht geholfen und etwas mehr Mut zur Ehrlichkeit (vor allem mit mir selbst) auf den Weg gegeben. Mir haben kinderfreie Vorbilder gefehlt. Menschen mit dem selben Nicht-Kinderwunsch. Obwohl einige von ihnen – wie ich inzwischen weiß – immer in meinem Dunstkreis anwesend waren. Eine Tatsache, die mir aber schlichtweg nicht bewusst war. Weil nun einmal so wenig über dieses Thema gesprochen wurde. Weil auch ich so wenig über dieses vermeintliche Tabu gesprochen habe. Und die anderen es vermutlich aus ähnlichen Gründen auch nicht getan haben.
Heute bin ich mehr Ende 30 als Ende 20 und habe viel gelernt. Zum Beispiel, dass ich mir viele Jahre des Hirnzermaterns erspart hätte, wenn ich viel früher offener damit umgegangen wäre, mir kein Kind zu wünschen. Denn wer weiß: Vielleicht hätte ich dadurch jene Gespräche mit anderen kinderfrei lebenden Menschen führen können, die mir damals so gefehlt haben. Gespräche mit kinderfreien Vorbildern. Vielleicht wäre ich aber auch für einen anderen Menschen zu einem selbstbestimmt kinderfrei lebenden Vorbild geworden. Klingt irgendwie verrückt. Aber wer weiß das schon? Mein Learning in der großen Kinderwunsch-Frage lautet dennoch: Jeder Lebensweg ist richtig – und über all die wunderbaren und unterschiedlichen Wege sollten wir alle viel mehr sprechen, während wir ein paar Schritte gemeinsam gehen.
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