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Kolumne || Habt mehr Mut zu Liebeskummer oder: Sollen wir uns trennen, Baby?
Sollen wir uns trennen? Weit bevor diese Frage im Raum steht, schüttelt es dich durch eine Vielzahl von Gefühlen und zwar nie sortiert und nacheinander, sondern immer gleichzeitig. Je nachdem fühlst du eine Art von Erleichterung, wie ein großer Stein, der dir vom Herzen fällt. Du atmest tief ein – und denkst über den nächsten Ikea-Besuch nach. Du ziehst in Gedanken schon mal diese neonfarbene Bettwäsche auf, mit der du seit Wochen liebäugelst oder schmeißt die alte Kommode der verschwiegerten Großtante aus dem Haus! Yes! Mädchen-Musik am Morgen, in Ruhe einen Kaffee trinken und endlich wieder in der Küche rauchen, ach! Und dann atmest du aus …
Beim Ausatmen fällt dir der Stein vom Herzen direkt auf den grossen Zeh, der ist dann platt. Und beim Ikea-Besuch kommt einem natürlich – Klassiker – dieses frisch verliebte Paar entgegen und die neue Bettwäsche leuchtet nachts auch ganz schön merkwürdig. Nur die neue Kommode, die ist ziemlich cool. "Sollen wir uns trennen" löst Ängste aus: allein zu sein, allein zu bleiben, mit einem Kind beizeiten auch sehr gefordert zu sein, finanzielle Ängste, nachts, tags, mittendrin statt nur dabei.
Trotzdem plädiere ich dafür, dass wir uns diese Frage in Beziehungen häufiger gegenseitig laut und deutlich stellen sollten: Sollen wir uns trennen? Die Antwort kann ja auch "Nein" heißen! Auf das Nein folgt dann heißer Sex oder eine mehr oder minder konstruktive Diskussion, warum es mir wirklich dermaßen auf die Eier geht, dass du das dreckige Geschirr immer in die Spüle stellst, ich dich aber trotzdem liebe. Vielleicht fliegen ein paar Teller an die Wand (am besten die der Großtante) oder ein jeder liest mit einem verträumten Schmunzeln weiter seinen Teil der Zeitung. Nee Schatz, heute trennen wir uns nicht. Heute lieben wir uns!
Wäre es nicht mal an der Zeit einen anderen Blick auf die Liebe und unsere Beziehungen zu werfen?
Und wenn die Antwort "Ja" heißt? Oder wenn du bleiben möchtest und dein Partner möchte gehen? Dann bleibe mutig! Statistisch gesehen trennt sich eine Vielzahl an Paaren im Laufe des Lebens – und so wie es an der Zeit für einen neuen, modernen Familienbegriff ist, wäre es doch auch mal an der Zeit für einen anderen Blick auf die Liebe und unsere Beziehungen zu werfen, oder? Wenn wir nicht mehr davon ausgehen, dass wir den einen ultimativen Partner fürs Leben finden müssen, um den herum sich unser Leben aufbaut, und gegebenenfalls auch mal eine Zeit alleine sein werden, dann nimmt das doch eine ganze Menge Druck raus, oder?
"Scheiße, dachte ich, und jetzt? Er hat sich eine andere Wohnung genommen und ich habe einen Tanzkurs für uns gebucht"
Das bedeutet überhaupt nicht, dass wir uns nicht unglaublich anstrengen sollten eine bereichernde Partnerschaft zu führen, ein guter Mensch zu sein, Verantwortung zu übernehmen, Durststrecken auszuhalten oder direkt zu gehen, nur weil es gerade mal etwas krieselt. Als mir mein Ex-Freund erzählt hat, dass er eine andere Frau mindestens genauso nett findet wie mich, ist mein Leben explodiert. Scheiße, dachte ich, und jetzt? Er hat sich eine andere Wohnung genommen und ich habe einen Tanzkurs für uns gebucht. Wir waren gezwungen uns einmal in der Woche in dieser Tanzschule zu treffen, gemeinsam etwas Neues zu lernen, zu führen, uns führen zu lassen, diese Mischung aus Abstand und Nähe auszuhalten. Nach dem ersten Kurs haben wir tatsächlich einen zweiten gebucht und am Ende drei Monate lang jede Woche miteinander getanzt. Das eine Mal konnte ich die Nähe nicht aushalten und wir haben abgebrochen; ein anderes Mal haben wir einfach geschwänzt, sind in die Kneipe um die Ecke gegangen und haben uns betrunken. Und am Ende haben wir uns getrennt. Aber mit Respekt und dem Wissen, dass wir es wirklich ernsthaft probiert haben. Besonders für unsere Tochter.
"Lasst uns unseren Kindern beibringen wie das geht, mit dem gebrochenen Herzen"
Hätten mir meine Eltern in der Pubertät erklärt, dass der Mann fürs Leben vielleicht gar nicht lebenslang bleiben muss, wäre meine Welt im Moment der Trennung nicht in die Luft geflogen. Ich wäre darauf vorbereitet gewesen, dass so etwas grundsätzlich passieren kann. Es hätte genauso weh getan, das Herz wäre genauso gebrochen – aber ich hätte vorher gewusst, dass es danach weiter geht. Was wäre, wenn wir nicht mehr in dem Glauben aufwachsen, dass es einen Partner fürs Leben gibt, sondern das es mehrere sein können? Dass wir im Laufe des Lebens Liebeskummer aushalten werden müssen und dass wir auch mal ohne Partner sein werden. Dass wir dann ja immer noch Freunde haben, Familie, unsere Jobs, stricken, Bücher lesen und laut zu unserer Lieblingsmusik tanzen.
Lasst uns doch einfach breiter aufstellen, die Familie öffnen, an mehrere starke Schultern abgeben und uns, wenn es denn sein muss, mutig dem Liebeskummer stellen! Und lasst uns unseren Kindern beibringen wie das geht, mit dem gebrochenen Herzen. Das würde es doch einfacher machen für den, der gehen möchte und für den, der bleiben möchte. Eine Trennung wäre dann kein Tabu mehr, keine Explosion im Leben und im Freundeskreis, sondern ein ganz normaler Prozess. Wir könnten ehrlicher und ergebnisoffen miteinander reden und wir könnten uns gegenseitig darin unterstützen der Mensch zu sein, den wir tief in uns drin fühlen. Wir dürften uns verändern, wir dürften unterschiedliche Geschwindigkeiten haben! Unsere Freundeskreise würden uns gemeinsam darin unterstützen es auch gut getrennt zu machen, gerade wenn Kinder dabei sind. Und wer weiss, vielleicht gibt es dann doch den einen, der ganz, ganz lange bleibt. Sollen wir uns trennen? Heute noch nicht, Baby!
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