Schreib mir wenn du zuhause bist

#shewasjustwalkinghome – Der Heimweg gehört auch uns Frauen!

Haben wir nicht alle schon einmal die Straßenseite gewechselt weil uns ein Fremder entgegenkam? Nach dem Tanzen flache Schuhe für den Heimweg angezogen, damit wir im Fall der Fälle losrennen können? Die Schlüssel ganz fest in der Faust zwischen den Fingern geballt, um sich notfalls verteidigen zu können? Extra laut mit jemandem telefoniert? Oder auch nur so getan, als würden wir telefonieren? Nur, um zu vermitteln, dass wir nicht allein sind. Sind wir nicht alle schon einmal Umwege gegangen, um verlassene Straßen und Gassen zu umgehen? Extra schnell gegangen, weil hinter uns Schritte zu hören waren? Haben wir nicht alle schon einmal Herzrasen gehabt bei dem Gedanken, der Fremde hinter uns könne nun wissen, wo wir wohnen? Erleichterung verspürt, wenn wir endlich zuhause angekommen sind und die Tür hinter uns abschließen konnten? 

Ich glaube nicht, dass ich mich weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte: Jede von uns kennt mindestens eines dieser Szenarien. Und allein das schreckliche Verbrechen an Sarah Everard aus London, das uns aktuell sprachlos und ohnmächtig macht, beweist, wie weit wir offenbar noch davon entfernt sind, dass Frauen sich nachts allein auf der Straße sicher fühlen können …

"Wenn der Typ, der dich in der U-Bahn schon die ganze Zeit angestarrt hat, an derselben Station aussteigt wie du und hinter dir herläuft. Wenn er langsamer wird, wenn du es wirst. Wenn er schneller wird, wenn du es wirst.Wenn er die Straßenseite wechselt, weil du es tust"

Machen wir uns nichts vor: Die Angst von Frauen vor Gewalt und Übergriffen gehört für uns zum Alltag dazu. Bereits im Kindesalter wird uns beigebracht, dass Frauen und Mädchen besser nicht alleine unterwegs sein sollten, wenn es dunkel wird. Und tatsächlich verinnerlicht sich diese Warnung so sehr in unseren Köpfen, dass wir es irgendwann nicht einmal mehr infrage stellen.

Der ständige Blick über die Schulter gehört also mindestens genauso zu unserem Alltag wie Situationen, in denen wir uns schlicht und ergreifend nicht sicher, sondern belästigt und womöglich sogar in Gefahr fühlen. Zum Beispiel, wenn der Typ, der dich in der U-Bahn schon die ganze Zeit angestarrt hat, an derselben Station aussteigt wie du und hinter dir herläuft. Wenn er langsamer wird, wenn du es wirst. Wenn er schneller wird, wenn du es wirst. Wenn er die Straßenseite wechselt, weil du es tust.

Die ständige Angst und Unsicherheit ist also gewissermaßen so sehr in unserem Denken verankert, dass wir sie beinahe als Teil unseres Lebens akzeptiert haben. Frauen, die also kein Opfer männlicher Gewalt werden wollen, können offenbar nicht darauf hoffen, dass ihnen geholfen wird. Sie müssen es also selbst in die Hand nehmen. Wortwörtlich. In Form ihres Schlüsselbundes, den sie fest in ihrer Faust umklammern, wenn sie abends heim gehen. In Form von Pfefferspray, das sie möglicherweise zum Schutz bei sich tragen. In Form von heller Kleidung, die im Dunkeln erkannt wird und flachen Schuhen, in denen sie im Fall der Fälle schnell wegrennen können. Möglicherweise können diese Mittel zur Selbsthilfe tatsächlich helfen. Was aber, wenn nicht? Was, wenn, wie im Fall der getöteten Sarah Everard, auch vermeintliche Selbstschutzmaßnahmen nicht vor einem Übergriff schützen?

"Es geht darum, dass es nich die Frauen sind, die damit aufhören müssen, sich in vermeintlich gefährliche Situationen zu begeben. Es geht darum, dass Männer aufhören müssen, Frauen in gefährliche Situationen zu bringen"

Tja, in so einem Fall werden dann erst einmal Fragen gestellt. Fragen wie "Was hat das Opfer getragen, als es überfallen und missbraucht wurde?" Fragen wie "Hat das Opfer den Täter möglicherweise provoziert?" Oder "War die Frau vielleicht betrunken?" Victim Blaming nennt man das – eine Täter-Opfer-Umkehr, die auch im Fall Sarah Everard in den sozialen Medien debattiert wurde. Müssen wir uns also wirklich mit Fragen beschäftigen, ob sich ein Vergewaltiger möglicherweise durch den Minirock seines Opfers provoziert gefühlt haben könnte? Nein, müssen wir nicht! Denn bei der Frage nach Übergriffen auf Frauen geht es nicht darum, wie die Frau sich verhalten hat. Es geht um den Täter und die Frage danach, wie er sich verhalten hat.

Sarah Everard: Sie war eine von uns und sie ist wir alle

Es geht nicht um die Kleidung. Oder darum, dass eine Frau in High Heels unterwegs ist. Oder vielleicht ein Glas Sekt zu viel hatte. Darum geht es nicht. Ging es noch nie. Einfach, weil es um etwas so verdammt anderes geht: Darum, wie Männer sich verhalten. Es geht darum, Frauen die Angst zu nehmen. Ihnen das Gefühl zu geben, dass sie sich nicht ständig verunsichert umschauen müssen, weil sie sich verfolgt fühlen. Es geht darum, dass es nicht die Frauen sind, die damit aufhören müssen, sich in vermeintlich gefährliche Situationen zu begeben. Es geht darum, dass Männer aufhören müssen, Frauen in gefährliche Situationen zu bringen.

Der grausame Mord an Sarah Everard steht stellvertretend für unzählige solcher Taten. "Sie war eine von uns und sie ist wir alle", beschrieb die Journalistin Kate Bevan die Tragödie treffend. Dabei wollte Sarah Everard doch nur eines: sicher nach Hause kommen. She was just walking home.

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