Frauen gegen Frauen
Unsplash/Brett Jordan

Frauen gegen Frauen, oder: Wann verstehen wir endlich, dass wir alle in einem Boot sitzen?

Wenn Frauen andere Frauen anfeinden, dann ist das vor allem eins: schade. Und unnötig. Haben wir denn mit dem Kampf für Gleichberechtigung und gegen Sexismus nicht schon alle Hände voll zu tun, dass wir wenigstens untereinander zusammenhalten können? Vielleicht denke ich zu naiv, aber ich bin immer davon ausgegangen, dass wir uns mittlerweile im Klaren darüber sind, alle im selben Boot zu sitzen, aber wahrscheinlich hat genau deshalb meine letzte Erfahrung mich kalt erwischt – und eine Sache klargemacht: Wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns.

"Lesen wir darüber einfach nur nicht genug? Oder wieso bin ich so überrascht und hätte dieses Verhalten eher von Männern als Frauen erwartet? Geschieht diese Verurteilung unter Frauen vielleicht auf eine Art leiser, nicht ganz so offensichtlich wie wir es von Männern „gewohnt“ sind?"

Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht, als ich mit meiner soon-to-be-married-Freundin im bayerischen Fünf-Sterne-Hotel für unseren Wellnesskurzurlaub aufschlug. Es sollte ein Ersatz für ihren Junggesellinnenabschied werden. Die Stimmung war entspannt, voller Vorfreude, und es war mir egal, als meine Freundin mich warnte, wir könnten fälschlicherweise für ein Pärchen gehalten werden. Na und?, dachte ich. Da habe ich schon Unangenehmeres erlebt – zum Beispiel, als andere Leute mich und meinen Vater im Urlaub für ein Pärchen mit über 30 Jahren Altersunterschied hielten (nicht, dass es schlimm wäre, wenn es so gewesen wäre. Aber andere Leute fanden das offensichtlich sehr schlimm. Und mein Vater auch).

Da stehen wir also an der Rezeption, meine Freundin mit einem sehr deutlich sichtbaren Babybauch, und ich, mit nicht ganz so deutlich, aber auch sehr sichtbaren Tattoos, dazu normale Alltagskleidung, die nicht so ganz zum Dresscode der anderen Gäste passt. Zugegeben, meine Kleiderwahl hätte ich für ein Fünf-Sterne-Hotel besser aussuchen können – aber dann wiederum, wieso auch? Wir sind hier zahlende Gäste, und es ist ja nicht so, als stünde ich hier bekleidet mit FlipFlops und Strandhandtuch. 
Dass ausgerechnet wir zwei mit dem Bild, das wir hier anscheinend vermitteln, vor allem für uns selbst zur Bedrohung werden, wird mir erst klar, als die Dame an der Rezeption uns keine Reservierung für das hoteleigene Restaurant machen will. Es sei bereits „sehr voll“, sagt sie und will sich schon dem nächsten Gast zuwenden. Naja, aber ob sie es nicht einfach versuchen könne, fragt meine Freundin? Natürlich, antwortet die Rezeptionistin mit einem Lächeln, das ihre Augen noch immer nicht erreicht, sie würde uns dann Bescheid geben.

Offene Diskriminierung von Frau zu Frau

Wir warten kaffeetrinkend in der Lobby und während ich versuche, mir einzureden, es könne nun wirklich sein, dass das Personal einfach recht gestresst ist, vergehen anderthalb Stunden. Wir haben noch immer nichts von unserer Reservierung gehört. Meine Freundin geht zur Rezeption und fragt nach.
Sie hätte es versucht, aber niemanden erreicht, lautet die Antwort „unserer“ Rezeptionistin. 
Weil sie keine andere Chance hat – wir sind schließlich zahlende Gäste wie alle anderen hier auch – versucht sie es ein weiteres Mal, und, voilà, bekommt sofort jemanden in die Leitung. Zwei Hausgäste für das Restaurant heute Abend? Gar kein Problem, die sollen auf jeden Fall kommen.
Auch das könnte natürlich ein blöder Zufall sein, rede ich mir abermals wie ein Mantra ein, aber wenn Blicke Giftpfeile werfen könnten, würden wir zwei es heute Abend jedenfalls nicht mehr ins Restaurant schaffen.

"Eigentlich weiß ich ganz genau, was hier gerade passiert: Wir werden vom Servicepersonal diskriminiert für unsere vermeintlich sexuelle Orientierung. 
Und vermutlich auch für meine äußere Erscheinung."

Als wir etwas später im Restaurant ankommen (ich habe mir sogar meine einzige Bluse angezogen) erwartet uns eine weitere Begrüßung der anderen Art: Zwei Frauen stehen am Empfang und beginnen zu tuscheln, als wir unsere Reservierung nennen. Die Restaurantleiterin kommt dazu, erfasst die Situation mit einem Blick und führt uns zu unserem Tisch – der, vielleicht nicht mehr ganz überraschenderweise, in der hintersten und dunkelsten Ecke des Restaurants ist.
 Vielleicht waren wir wirklich so spät mit der Reservierung, und das hier war der letzte Tisch. Könnte immerhin sein. Aber eigentlich weiß ich ganz genau, was hier gerade passiert: Wir werden vom Servicepersonal diskriminiert für unsere vermeintlich sexuelle Orientierung. 
Und vermutlich auch für meine äußere Erscheinung.

"Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich dachte, wir wären schon weiter. Ich dachte, wir leben in 2024 und jeder Mensch ist willkommen. Egal, in welcher Konstellation"

Gesellschaftliches Idealbild abzugeben!

Ich bin es durchaus gewohnt, öfter Sprüche aufgrund meiner Tattoos (oder meiner Berufswahl, meines Single-Daseins oder zum Alleinreisen) zu bekommen; überhaupt entspreche ich mit Mitte 30 nicht gerade jenem Idealbild einer Frau, das viele im Kopf zu haben scheinen. Deshalb stören mich die Blicke der anderen Gäste beim Frühstück weniger und motivieren mich eher dazu, den Tipp einer queeren Freundin zu beherzigen, die Situationen wie diese schon mehrfach erlebt hat, und laut „Oha! Unerhört, oder?“ zu rufen und meiner schwangeren Begleitung einen lauten Schmatzer auf den dicken Babybauch zu drücken.
Mache ich natürlich nicht, stattdessen einigen wir uns darauf, das Restaurant-Thema von gestern Abend bei der Abreise offen anzusprechen.
Was mich allerdings wirklich verwundert – und unter diesen Umständen auch ungewöhnlich scheint: Die Männer im Service lassen sich rein gar nichts anmerken. Sie begegnen sie uns genauso freundlich, zuvorkommend und professionell wie allen anderen Gästen. Die einzigen, die hier Anzeichen von Sexismus zeigen, sind die Frauen.
Lesen wir darüber einfach nur nicht genug? Oder wieso bin ich so überrascht und hätte dieses Verhalten eher von Männern als Frauen erwartet? Geschieht diese Verurteilung unter Frauen vielleicht auf eine Art leiser, nicht ganz so offensichtlich wie wir es von Männern „gewohnt“ sind? Und wie hätte das Servicepersonal auf zwei Männer oder andere queere Pärchen reagiert? Eine Frage, von der ich nicht sicher bin, ob ich die Antwort wirklich wissen möchte.

It’s a long way to go – aber wir müssen alle mithelfen, um ihn zu gehen

Natürlich können wir hier nichts beweisen, und wir wissen nicht genau, was konkret es war, das nicht ins Weltbild der Hotelmitarbeiterinnen passte. Aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, es war definitiv das Bild zweier Frauen, die miteinander ein Kind erwarten und die klischeehafte äußere Erscheinung zusammen: Tattoos, kurze Haare, legerer Kleidungsstil.
 Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich dachte, wir wären schon weiter. Ich dachte, wir leben in 2024 und jeder Mensch ist willkommen. Egal, in welcher Konstellation. Und dass die Anfeindungen hier von Frauen selbst kamen, enttäuscht mich noch ein Stückchen mehr. Vielleicht habe ich mich zu lange in einer Bubble bewegt, in der ein unausgesprochenes Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl unter Frauen herrscht und in der es zu leicht zu vergessen war, dass andere Denkmuster genau vor unserer Nase leben.

Die Beschwerde, die wir gemeinsam bei unserer Abreise machen wollten, hat meine Freundin dann allein vorgelegt, während ich spazieren war. Schade. Wäre es nicht mein Recht gewesen, meinen Teil mit dazu beizutragen? Aus offensichtlichen Gründen? Wir haben ganz gleichberechtigt die Rechnung unter uns halbiert. Sie verkehre öfter in solchen Hotels, sagte sie dann, weiß anscheinend, wie das hier läuft. Der Hotelmanager hat das Ganze geschockt aufgenommen, sich bei ihr entschuldigt und ihr gesagt, sie und ihr Mann seien in Zukunft herzlich gern im Hause gesehen. Äh, excuse me? Obwohl dieses Gespräch den gegenteiligen Effekt haben sollte, fühle ich mich ein wenig mehr diskriminiert als zuvor. Scheint so, als wären es nicht nur die Frauen in diesem Hotel. Scheint auch so, als hätten wir einen noch wirklich langen Weg vor uns.

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