Vertrauen nach Fehlgeburt: Rosa Koppelmann über Trauer, Selbstbestimmung und Wut auf die Gesellschaft
Eine Fehlgeburt trifft Frauen oft unerwartet. Plötzlich ist er da, der Tod des ungeborenen Babys und mit ihm ein zerplatzter Traum. Frauen und ihre Familien stehen nicht selten allein da mit der eigenen Trauer, Ohnmacht und dem Schmerz. Und dann stellt sie sich: die Frage danach, wie man durch diese schwere Zeit gehen soll. Ob es überhaupt möglich ist, diese Zeit zu überstehen oder gar gestärkt aus ihr herauszugehen … Die Autorin Rosa Koppelmann widmet sich ihrem Buch "Vertrauen nach Fehlgeburt – Selbstbestimmt und kraftvoll durch eine herausfordernde Zeit" genau diesen Fragen und erklärt, wie Trauer ein erster Schritt in Richtung Heilung sein kann. Mit uns hat die freie Journalistin, Autorin und Bloggerin über ihre eigenen Schicksalsschläge, Heilung, aber auch über ihre Wut auf die Gesellschaft gesprochen:
Rosa, der Titel deines Buches "Vertrauen nach Fehlgeburt" klingt nach vielen Emotionen – positiven wie schmerzhaften. Wie ist es zu dieser Veröffentlichung gekommen?
Ich selbst habe 2017 und 2018 jeweils eine „Stille Geburt“ erlebt und durfte dadurch so unglaublich viel lernen. Meine erste Fehlgeburt hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen und mein Mann und ich sind in ein tiefes Loch gestürzt. Es hat ungefähr ein Jahr gedauert, bis wir uns da wieder herausgearbeitet haben – und genau dann kam die zweite. Während man davon ausgehen könnte, dass uns die zweite Fehlgeburt noch mehr zusetzen würde, ist merkwürdigerweise das Gegenteil passiert: wir duften die zweite Fehlgeburt auf die wohl schönstmögliche Art und Weise erleben und es war, als durften wir die erste nochmal aufarbeiten. Oder wie man Mann damals meinte „als würde sich ein Kreis schließen“. Nach der zweiten Stillen Geburt habe ich mit über 40 Frauen, Männern und Hebammen über Fehlgeburtserfahrungen, die Rechte der Frau und Familie sowie die Trauerbewältigung gesprochen. Schnell war klar, dass ich mein Wissen und meine Erfahrungen mit der Welt teilen möchte.
Nach meinen zwei Fehlgeburten habe ich erlebt und erfahren, wie diese Erlebnisse mir dabei geholfen haben in engeren Kontakt mit mir selbst, meinen Bedürfnissen und meinen Gefühlen zu kommen und so habe ich es mir zum Ziel gesetzt, Frauen nach einer Fehlgeburt zu empowern. Ihnen also zu helfen, zurück in ihre Kraft, ihre Weiblichkeit und ihr Vertrauen zu finden. Mein großes Ziel ist es, dass jede Frau auf der Welt gestärkt und nicht geschwächt aus einer Fehlgeburt hervorgeht.
Wie fühlt es sich an, etwas so Schmerzhaftes, Intimes und Lebensveränderndes in Form eines Buches so offen darzulegen?
Jede intensive Erfahrung in unserem Leben verändert uns und wir alle erleben viele, viele intensive Erfahrungen im Laufe unseres Lebens; eine Trennung, eine Niederlage, ein Todesfall – alles, was uns nahegeht, prägt uns. Ich finde es nicht hilfreich, eine Fehlgeburt, zu der es ja in ca. jeder vierten Schwangerschaft kommt, zu tabuisieren und damit so umzugehen, als wenn es etwas besonders Einzigartiges wäre. Fehlgeburten sind so normal und so an der Tagesordnung, dass es einfach an der Zeit ist, offener damit umzugehen. Das heißt nicht, dass sie deswegen weniger traurig sind! Oh nein, jeder Verlust ist es wert darüber zu trauern und die Trauer und den Schmerz ernst zu nehmen und sich Zeit und Ruhe dafür zu nehmen. Aber wenn wir normal über den Tod unserer Oma sprechen können, dann sollten wir genauso normal über den Tod unseres ungeborenen Kindes sprechen können. Tun wir das nämlich nicht, so tun wir es aus irgendwelchen bestimmten Gründen nicht und die sind meist: Schamgefühle, Schuldgefühle und das Gefühl versagt zu haben! Mein großer Wunsch ist es, dass sich das ändert! So viele Frauen kommen mit diesen Gefühlen in meine Sitzungen und suchen bei sich selbst die Schuld für das, was passiert ist. Mein Ziel ist es, das Thema Fehlgeburten raus aus der Schublade von „das ist zu intim um darüber zu sprechen“ zu holen, damit alle Frauen verstehen und sehen können, dass sie NICHT weniger wertvoll sind, nur weil sie ein Kind verloren haben!
Vertrauen nach Fehlgeburt: Selbstbestimmt und kraftvoll durch eine herausfordernde Zeit
Gebundene Ausgabe: 248 Seiten - hier erhältlich
Erschienen bei Palomaa Publishing
Welche Gefühle stecken in "Vertrauen nach Fehlgeburt" und was möchtest du Frauen, die diese Erfahrung erleben mussten, mit auf den Weg geben?
In „Vertrauen nach Fehlgeburt“ stecken sehr viele unterschiedliche Gefühle da ist tatsächlich eine Wut auf diese Gesellschaft, in der so viele Frauen sich schuldig fühlen, weil sie ihr Kind wieder verlieren. Diese Wut ist ein wertvoller Antreiber für mich und meine Arbeit. Da ist auch eine gewisse Frustration darüber, dass Frauen in den Kliniken und Arztpraxen häufig so schlecht aufgeklärt werden und ihnen z.B. gar keine unterschiedlichen Möglichkeiten genannt werden, wie sie ihr Kind wieder aus dem eigenen Körper verabschieden können. Da ist sehr viel Empathie mit all den Frauen, die sich während ihrer Fehlgeburtserfahrung allein und hilflos fühlen. Da ist Trauer um all die Babys, die vorschnell ausgeschabt werden, weil eine zu schnelle (Fehl-)Diagnose gestellt wurde. Da ist aber auch ganz viel Hoffnung auf einen Wandel in Bezug auf all das. Da ist auch ganz viel Zuversicht und vor allem ganz viel Kraft, um in die Eigenverantwortung zu kommen und selbstbewusst und selbstbestimmt mit den eigenen Erfahrungen umzugehen. Wenn wir Frauen wieder anfangen, selbst Verantwortung für uns und unseren Körper zu übernehmen – und nicht alle Verantwortung an unsere Arzt-Praxen abgeben –, dann können wir zurück in unsere weibliche Kraft kommen und mit allen Themen rund um das Thema Weiblichkeit und Kinderwunsch ganz anders umgehen.
Wie sieht deine Begleitung von Betroffenen aus, die eine Fehlgeburt erlebt haben?
Frauen, die eine Fehlgeburt erlebt haben, stecken diese meist entweder direkt in die „Ach, alles halb so wild-Schublade“, lenken sich ab und machen weiter wie vorher auch. Oder aber sie trauern sehr, sehr intensiv. Oder sie sind irgendwo dazwischen. Die Gruppe der Frauen, die zunächst mal alles von sich wegschiebt und sich selbst sagt, dass es alles nur halb so wild sei, kommt meist ein bis drei Jahre nach der Fehlgeburt zu mir in die Sitzung, weil sie dann feststellt, dass da noch etwas in ihr ist, was aufgelöst werden möchte. Häufig fühlen sich diese Frauen nach ein bis drei Jahren zunehmend leer, spüren keine Freude mehr im Leben und lassen ihren Alltag mechanisch laufen. Gemeinsam arbeiten wir dann die Fehlgeburtserfahrung auf und finden im Unterbewusstsein die Gründe für die depressiven Stimmungen, die wir dann auflösen.
Viele andere Frauen kommen direkt eine oder zwei Wochen nach der Stillen Geburt zu mir und sind noch mitten im Trauerprozess. Sie sehen keine Zukunft, sind verzweifelt und wissen einfach nicht wohin mit sich und ihren Gefühlen. Mit diesen Frauen arbeite ich auf, warum sie der Verlust so stark trifft, wir schauen gemeinsam tief im Unterbewusstsein auf welchen Glaubenssätzen die aktuellen Gefühle basieren und bearbeiten diese. Wir finden Ankerpunkte um neues Vertrauen zu fassen und ich stärke diese Frauen außerdem mit Energie-Heilung.
Diese Frage bekommst du vermutlich häufig gestellt: Empfindest du die Schicksale der Frauen – mit Blick auf deine eigenen Erfahrungen – als belastend? Wie gehst du mit den Schicksalen der Betroffenen um, um diese "nicht mit nach Hause zu nehmen"?
Oh ja, tatsächlich bekomme ich diese Frage häufig gestellt. Aber meine Arbeit ist ja nicht, dass ich mit meinen Klientinnen trauere, sondern, dass ich ihnen helfe, wieder in ihre Kraft zu kommen. Und das ist eine unheimlich erfüllende Arbeit, die mich ganz und gar nicht traurig macht. Es gibt kaum etwas Schöneres, als wenn eine Frau mit starken Schuld/Scham/Angst-Gefühlen zu mir in die Sitzung kommt und mich dann nach einer Stunde überrascht anstrahlt und mir sagt, wie anders sie sich gerade fühlt. Besonders schön ist es natürlich, Frauen über mehrere Wochen zu begleiten und ihren Prozess mitverfolgen zu können – zu sehen, wie sie plötzlich ihr Leben ganz anders in die Hand nehmen, im Job kürzertreten, mehr von dem machen, was ihnen Freude bereitet, ja sich teilweise sogar plötzlich trauen in die langersehnte Selbstständigkeit zu starten oder etwas Anderes machen, was sie stärkt und sie glücklich macht.
Insofern ist meine Arbeit wirklich sehr erfüllend und zieht mich keineswegs runter. Als dagegen vor kurzem das Baby einer guten Freundin in der 25. Schwangerschaftswoche verstorben ist und ich sie durch den Prozess begleitet habe, ging mir das – natürlich – trotzdem sehr nahe und ich habe endlose Tränen mit ihr vergossen. Dieses direkte Dabeisein ist einfach nochmal etwas ganz Anderes, als das, was ich in meiner Arbeit mache.
Dir geht es darum, dass Frauen eine Fehlgeburt "selbstbestimmt erleben" - wie muss man sich das vorstellen?
Heutzutage gehen die meisten Frauen am Anfang der Schwangerschaft in ihre Arzt-Praxis und begeben sich häufig ab diesem Zeitpunkt komplett in die Obhut der Praxis: Wenn ihnen gesagt wird, dass sie einen Ultraschall machen sollen, dann machen sie ihn, ohne nachzufragen. Wenn ihnen gesagt wird, sie sollen das Fruchtwasser untersuchen lassen, so machen sie es, ohne nachzufragen. Und wenn ihnen gesagt wird, dass das Herzchen nicht mehr schlägt und sie bitte ins Krankenhaus zur Aussschabung gehen sollen, so machen sie es, ohne nachzufragen. Natürlich ist das nicht immer so! Zum Glück! Aber leider immernoch viel zu häufig. Das Problem dabei ist, dass wir Frauen die Verantwortung über unseren Körper einfach abgeben und das führt dazu, dass wir den Kontakt zu unserem Körper und das intuitive Wissen, das wir alle in uns haben, immer mehr verlieren. Mein Wunsch ist es, dass Frauen wieder in Kontakt mit sich selbst und ihrem weiblichen Körper kommen; dass sie ihm vertrauen und mit ihm arbeiten.
Mittlerweile wissen viele Frauen, dass sie bei der Geburt eines lebenden Babys mit ihrem Körper arbeiten können; viele Frauen machen Hypnobirthing-Kurse, lernen Atemtechniken und/oder bereiten sich mit Yoga-Kursen auf eine selbstbestimmte, bewusste Geburt vor. Wenn es aber um frühe Fehlgeburten geht, geht kaum jemand so bewusst durch den Geburtsprozess sondern „lässt es einfach wegmachen“ ohne diese Eingriff zu hinterfragen. Ich finde das schade!
Damit will ich nicht sagen, dass ich Ausschabungen komplett verurteile. Genauso wie sich eine Frau bei einer Geburt nach intensiver Auseinandersetzung und Aufklärung ganz bewusst für einen Kaiserschnitt entscheiden kann, genauso darf sich – natürlich – auch jede Frau für eine Ausschabung entscheiden. Aber eben erst nach der Auseinandersetzung und der Aufklärung! Leider wird vielen Frauen dies allerdings gar nicht erst ermöglicht.
Verantwortung zu übernehmen, sich bewusst mit dem auseinanderzusetzen, was passiert, eine kompetente Hebamme zu Rate zu ziehen und dann selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen – auf Grundlage davon, was sich für einen selbst gut anfühlt; das ist die Grundlage um gestärkt und nicht geschwächt aus einer Fehlgeburtserfahrung hervorzugehen.
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