Regretting Motherhood Franziska Burkhardt
privat

Regretting Motherhood: Franziska Burkhardt, wie hat sich die Reue deiner Mutterschaft bemerkbar gemacht?

Regretting Motherhood. Das Bereuen der Mutterschaft. Ein Tabuthema, über das sehr wenig gesprochen wird. Weil die Reue für die Betroffenen mit Scham einhergeht. Und mit Vorwürfen von außen. Das weiß auch Franziska Burkhardt. Als sie unerwartet schwanger wurde, freute sie sich auf ihr Kind. Doch als alleinerziehende Mutter sah sie sich immer mehr mit den Hürden des Alltags und den Herausforderungen einer Alleinerziehenden konfrontiert, ehe sie schließlich begann, ihre Mutterschaft zu bereuen. Im Gespräch mit uns erzählt Franziska, wie sich ihre Reue angefühlt hat, wie sie irgendwann den Weg aus der Regretting-Motherhood-Spirale herausgeschafft hat und warum wir dringend mehr über ehrliche Mutterschaft sprechen sollten.

Hab vielen Dank für deine offenen Worte, Franziska.

Franziska, wie definierst du Regretting Motherhood für dich persönlich?

Für mich ist Regretting Motherhood eine Art Oberbegriff, der verschiedene Themen vereint. Dabei geht es zum einen um das Gefühl der Reue, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben oder in der Situation, in der man sich befindet, unzufrieden und unglücklich zu sein. An diese Emotionen sind wiederum Gefühle wie Wut, Trauer, Angst und Scham gekoppelt. Insofern steht die Reue für mich persönlich für ganz viele verschiedene Gefühle und ist auch an eine gewisse Enttäuschung geknüpft.

Was genau meinst du, wenn du von Enttäuschung sprichst?

Ich hatte eine ganz konkrete Vorstellung von Mutterschaft und dem Muttersein. Letztlich hat die Realität aber etwas anderes dargestellt und mich andere Erfahrungen machen lassen, die mit Konflikten verbunden waren. Dadurch ist das Gefühl entstanden, mich falsch entschieden zu haben und die Mutterschaft zu bereuen. Heute vertrete ich die Meinung, dass Reue ein Symptom des Patriarchats ist.

Wie hat sich deine Reue bemerkbar gemacht?

Der Auslöser meiner Reue war in meinem Fall, alleinerziehend und sehr überfordert und erschöpft gewesen zu sein. Eines Tages zog mein Körper dann die Reißleine und reagierte mit einer Panikattacke. Durch die Zwangspause, die ich im Anschluss nehmen musste, bin ich erstmals bewusst mit dem Gefühl der Reue in Berührung gekommen. Mir wurde klar, dass es so nicht weitergehen kann und ich mich in einer schwierigen Lage befinde. Ich habe die Reue zwar verspürt, habe mich für dieses Gefühl aber nie geschämt.

"Die Reue hat sich irgendwann transformiert, weil ich für mich verstanden habe, wodurch sie ausgelöst wurde. Ich habe verstanden, dass die Gesellschaft, in der wir leben, für Mütter nicht geeignet ist."

Wie waren die Reaktionen von außen auf deine Situation?

Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich mit meiner Reue alleine war. Ich erinnere mich daran, immer wieder meine Situation offen angesprochen und beklagt zu haben – auch bezüglich der Konflikte mit dem Vater meines Kindes. Trotzdem habe ich nicht allzu viele hilfreiche Tipps bekommen, was womöglich damit zusammenhing, dass die Menschen mit mir überfordert waren. Erschwerend kam hinzu, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch neu in Weimar war und keine wirkliche Basis um mich herum hatte.

Hast du die Reue, die du empfunden hast, denn offen thematisiert?

Nicht wirklich. Mit den dunklen Gefühlen bezüglich meiner Mutterrolle war ich eher alleine. Ich habe zwar über die Situation als Alleinerziehende und meine Überforderung geklagt, war aber mit den Reuegefühlen größtenteils für mich.

Wurde dir von Außenstehenden in diesem Zusammenhang auch die Liebe zu deinem Kind abgesprochen?

Das nicht unbedingt, aber mir wurden häufig Reaktionen wie „Irgendwann wird es besser“ entgegengebracht. Zudem wurde mir häufig nahegelegt, die Zeit mit meinem kleinen Kind doch zu genießen. Aber eben darin lag ja mein Problem. Situationen wie diese haben mir dann aufgezeigt, wie viel Wut ich in mir hatte und indem ich mich immer mehr mit dem Thema Regretting Motherhood beschäftigt habe, bin ich auch erstmals in meinem Leben mit Feminismus in Berührung gekommen. Das hat mir in meiner Wut natürlich enorm geholfen.

"Ich weiß, dass viele Mütter mit dem Reuegefühl allein sind."

Lass uns über den Weg aus der Reue sprechen, den du gegangen bist. Wenn wir von Regretting Motherhood sprechen, sprechen wir von viel Druck, Schuldgefühlen, Minderwertigkeitsempfinden bis hin zu Depressionen. Wie bist du aus dieser Spirale rausgekommen?

Ich habe zunächst Therapien gemacht. Zu dem Zeitpunkt der Therapien hatte ich das Thema Regretting Motherhood schon so sehr in mein Leben geholt, dass ich selbst viel reflektieren konnte. Dazu kam mein Kunststudium, das mir wahnsinnig dabei geholfen hat, diese Situation zu überstehen. Häufig konnte ich in der Mutterrolle meine Wohnung kaum verlassen und hatte kaum Zeit für mich – ich habe dann begonnen, in meiner Wohnung zu fotografieren, was mich in eine andere Rolle gebracht hat. Kunst zu machen, kreativ zu sein und viel über Themen wie Mutterliebe oder den Muttermythos zu lesen, hat mir wahnsinnig viel geholfen. Mir ist aber auch bewusst, dass nicht jede Betroffene ein solches Ventil zur Verarbeitung und Kanalisierung ihrer Gedanken hat.

Heute bereust du deine Mutterschaft also nicht mehr …

Genau, die Reue hat sich irgendwann transformiert, weil ich für mich verstanden habe, wodurch sie ausgelöst wurde. Ich habe verstanden, dass die Gesellschaft, in der wir leben, für Mütter nicht geeignet ist. Das haben mir auch in meiner Situation als Alleinerziehende viele negative Erlebnisse aufgezeigt. Dass es da einen Zusammenhang mit den Reuegefühlen gab, hat mir geholfen das alles zu verstehen. Ich habe auch erkannt, dass Reue eine unfassbare Kraft hat. In Bezug auf Mutterschaft denken viele Menschen, Reue dürfe nicht stattfinden – ich für mich habe irgendwann verstanden, dass meine Mutterrolle und mein Muttersein ein Prozess ist. Dazu kommt der hohe Anspruch, den Menschen und vor allem Frauen an sich selbst haben. Entstanden ist dieser Anspruch durch die von unseren Müttern und Großmüttern gemachten Erfahrungen und was sie alles allein geschafft haben. Ich denke, dass wir uns in unserer Generation erlauben dürfen, diesen immensen Anspruch abzulegen.

Durch deine Kunst hast eine eigene Strategie entwickelt, die dir geholfen hat, deine Wut und Reue zu kanalisieren. Ist dein Eindruck, dass das allen Betroffenen gleichermaßen gut gelingt?

Ich weiß, dass viele Mütter mit dem Reuegefühl allein sind. Zum einen, weil nicht alle Betroffene ihre Reue gleichermaßen erkennen. Hätte ich damals nicht die Panikattacke gehabt, hätte auch ich möglicherweise nicht verstanden, was in mir vorgeht. Der erste und wichtigste Schritt ist also, zu verstehen, Hilfe zu brauchen. Diesen Schritt kann man aber keiner Mutter abnehmen. Nichtsdestotrotz könnte es betroffenen Müttern von außen leichter gemacht werden, indem gezielte Beratungsangebote für die Konflikte und Reuegefühle geschaffen werden. So wie es eine Schwangerschaftskonfliktberatung gibt, sollte es auch eine Mutterschaftskonfliktberatung geben. Würde es so etwas geben, wäre es für Mütter einfacher, ihre Gedanken zu besprechen. Deshalb setze ich mich dafür ein, solche Angebote in Beratungsstellen zu etablieren.

Ich würde gerne über den Muttermythos sprechen. Hier spielen etwa die sozialen Medien eine nicht unwichtige Rolle, wenn es darum geht, ein unrealistisches Bild der Mutterschaft zu zeichnen …

Das erste Bild, das wir von Mutterschaft haben, ist das unserer eigenen Mutter. Wenn wir eine Mutter hatten, die aufopfernd war, dann ist diese Rolle häufig unser erstes Vorbild. Mit Blick auf die sozialen Medien würde ich mir deutlich mehr ehrlich abgebildete Mutterschaft wünschen. Ehrliche Mutterschaft könnte somit auch mehr in den echten Alltag einziehen. Somit könnten endlich Gefühle enttabuisiert werden, denn das ist meiner Meinung nach die größte gesellschaftliche Herausforderung, die wir haben.

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