Kolumne Kinderwunsch

Tickst du noch oder entscheidest du schon? Die Sache mit dem Kinderkriegen

Hach. Was wäre ein Tag im Leben einer Thirty-Something-Frau, wenn nicht regelmäßig Kommentare zu deren Lebens- und Kinderplanung fallen? So auch letzte Woche bei meinem Hausarzt: Es klingt jetzt vielleicht hart, aber Ihre biologische Uhr tickt. So sei das nunmal, mit 34, und vor allem ohne Partner, da könne viel Druck entstehen.
Puh. Und ich dachte, wir schreiben 2024 – ein Jahr, in dem überall mittlerweile angekommen sein dürfte, dass jeder Mensch sein Leben frei von gesellschaftlichen Normen aufbauen kann. Aber ich versteh schon – er hat’s ja nur gut gemein, medizinische Fakten sind medizinische Fakten. Allerdings können auch „Fakten“ Wunden aufreißen.

"Mit Mitte 30 lerne ich ja gerade erst, echte Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. Wie könnte ich da fähig sein, einem Kind das zu geben, was es wirklich braucht?"

Ich hatte eine schlaflose Nacht. Nicht, weil die Warnung vom Arzt mich dazu motiviert hat, direkt mit der Reproduktion loszulegen. Oder etwa, weil mir Aussagen dieser Art neu wären. Nein, das kenne ich genügend von meiner eigenen Familie. Oder von dem letzten Lovoo-Match mit Jonas, 35, Fitness und Reisen, der mir ja nicht zu nahe treten wolle, aber sich schon fragt, wie lange ich denn noch mit dem Kinderkriegen warten will?!
Witzig, wie ich in solchen Momenten dazu neige, mich rechtfertigen zu wollen, obwohl es keinen Unterschied macht, ob ich gewollt kinderlos bin oder einen unerfüllten Kinderwunsch in mir trage, denn erstens geht das niemanden (weder Arzt noch Jonas) etwas an und zweitens sind solche Aussagen der Gipfel der Unsensibilität. Zumindest von einem Arzt hätte ich mir mehr Feingefühl gewünscht, bevor er mich mit Pauschalaussagen überschüttet und eventuelle Wunden aufreißt. Andererseits wäre es vielleicht zu viel verlangt von jemandem, der weit über 60 ist und selbst nie Kinder zur Welt bringen musste – oder wenn dann, nur passiv.

Von Vibratoren und neuen Möglichkeiten

Dabei sehen wir spätestens seit Social Media, dass die Möglichkeiten, ein erfülltes Leben zu führen – ähnlich wie die Auswahl an Vibratoren in Onlineshops – schier endlos sind. So auch in meinem Umfeld. Da gibt’s Pärchen und Singles, mit Kindern und ohne Kinder; mit Karriere und ohne Karriere, queer und hetero; es gibt die, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben und die, bei denen es ohne Planung geklappt hat; die, die fleißig Hormone spritzen um den Weg der künstlichen Befruchtung zu gehen oder ihre Eizellen für einen späteren Zeitpunkt einfrieren zu lassen. Niemand ist mit dem gewählten Weg glücklicher oder unerfüllter als andere, nur weil sie sich für das eine oder das andere entschieden haben. Jeder eigene Weg bringt schlicht und einfach Momente mit sich, die mal Tiefpunkte, mal Höhepunkte, und hin und wieder Normalität in den Alltag zaubern.

Tja, und dann gibt‘s da mich. Ich, die schon vor zehn Jahren ihre Langzeitbeziehung beendet hat, weil ich nicht bereit für Kinder war. Ich wollte mich ausleben, ausprobieren – im Leben und im Beruf. Ich will mein kreatives Standbein aufbauen, weiterhin ortsunabhängig unterrichten und viel reisen. Menschen treffen, die Welt erleben – kurz: ich möchte ein Leben, das zu mir passt. Für das ich jeden Tag gern aufstehe. Und Kinder passten da einfach nie rein. Bis jetzt.

Denn die Aussage von meinem Arzt hat da etwas hochgeholt, was schon seit einiger Zeit in mir herumwabert, aber immer wieder erfolgreich ignoriert wurde. Etwas, das dieses steinharte ‚Nein‘ ein kleines bisschen schmelzen lässt. Plötzlich hat sich das Ausrufezeichen sich zu einem Fragezeichen geformt: Ich will keine Kinder? Nie?

Oder kam das ‚Nein‘ all die Jahre nur aus einem unterbewussten Schutzschild, weil ich zwar gern würde, aber riesige Panik davor habe, ein kleines Wesen in diese Welt zu setzen – vor allem in dem Zustand, in dem sie gerade ist – für das ich dann auf ewig verantwortlich sein soll? Mit Mitte 30 lerne ich ja gerade erst, echte Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. Wie könnte ich da fähig sein, einem Kind das zu geben, was es wirklich braucht?

"Nein, ich bin noch nicht bereit für Kinder. Weder emotional, noch finanziell, noch beruflich. Diese Erkenntnis ist erstmal alles, was ich brauche, um jetzt mein schönstes Leben zu leben. Mit all seinen Sorgen, Zukunftsfragen und Hoffnungen. Falls jetzt nochmal jemand fragt, wie lange ich mir Zeit lassen will, dann lautet meine Antwort: lange."

Rein hormonell gesehen bin ich eine Eins Plus mit Sternchen!

Kurz vor dem Besuch bei meinem Hausarzt habe ich mir von meiner Gynäkologin sagen lassen, ich hätte einen bilderbuchartigen Zyklus, hormonell gesehen. Und meine reproduktiven Organe? Vorbildlich, wirklich!

Als mein Hausarzt jetzt noch die Kirsche auf das Sahnehäubchen setzte, indem er meine allgemeinen Werte und Organfunktionen als „außergewöhnlich gut“ (für 34) lobte, hat mich das weitaus stolzer gemacht, als es sollte. Erinnert an Grundschulzeiten, wenn unter dem eigenen Aufsatz ein „Prima mit Sternchen!“ stand. Nur mit dem Unterschied, dass ich selbst keinerlei Einfluss auf meine (reproduktiven) Organe habe. Aber ich glaube, die Ergebnisse waren vielleicht nicht ganz unschuldig an meiner schlaflosen Nacht. Denn in dieser Nacht habe ich mir zum ersten Mal die Frage gestellt, was ich eigentlich gemacht hätte, wären die Ergebnisse anders ausgefallen. Wenn zum Beispiel die Ärztin verkündet hätte, es täte ihr leid, aber ich könne keine Kinder bekommen – oder nur sehr, sehr schwierig. Wäre ich dann traurig gewesen? Am Boden zerstört? Gleichgültig? Oder wäre das nur der Schmerz einer verlorenen Option, die ich ohnehin nie in Anspruch nehmen wollte?

Und jetzt, da meine biologische Uhr anscheinend voll im Takt spielt, wäre es nicht quasi verschwendetes Potenzial, keine Kinder zu bekommen? Würde ich irgendwann bereuen, mich für ein kinderfreies Leben entschieden zu haben? Vom Kreativ- und Erfüllt-sein irgendwann müde werden? Ist das Kinderkriegen nur eine Tür, die ich mir offen halten will? Oder ist das ein echter Teil von mir, der sich da gerade bemerkbar macht? Und was ist das eigentlich für eine Logik? Bin ich jetzt völlig verrückt geworden? Ich schäme mich für solche Gedanken, aber sie sind nun einmal da. Weil ein sehr wichtiger Teil meines Lebens von den Entscheidungen abhängt, die ich heute treffe. Angefangen bei den Entscheidungen, wen ich date. Wie ich meine Finanzen verwalte und vorsorge. Welche Wohnung ich miete und … ich denke, ihr wisst, wohin das läuft.

Tauschen wir das Ticken der biologischen Uhr gegen Vertrauen aus

Zum Glück hat sich der letzte Funken Vernunft in meinem Hirn dann doch noch eingeschaltet und mich irgendwann einschlafen lassen. Zwar habe ich noch keine Antworten auf die Fragen, aber vielleicht brauche ich die gar nicht. Denn eines weiß ich ganz sicher: Garantiert werde ich heute nicht anfangen, Entscheidungen für etwas zu treffen, von dem ich glaube, dass ich es in ein paar Jahren eventuell wollen könnte. Das hat bei mir noch nie funktioniert.

Alles, was ich tun kann, ist, auf mein Herz (und auf die Freunde, die frischgebackene Eltern sind) zu hören. Und da höre ich ein glasklares Nein. Nein, ich bin noch nicht bereit für Kinder. Weder emotional, noch finanziell, noch beruflich. Diese Erkenntnis ist erstmal alles, was ich brauche, um jetzt mein schönstes Leben zu leben. Mit all seinen Sorgen, Zukunftsfragen und Hoffnungen. Falls jetzt nochmal jemand fragt, wie lange ich mir Zeit lassen will, dann lautet meine Antwort: lange.

Wir haben alle unseren eigenen Weg, und die Entscheidungen, die wir treffen, sind immer richtig. Meine Entscheidung: Ich habe noch Zeit, weil ich keine Uhr ticken höre. Übrigens, meine Patentante hat mit 39 das erste, mit 42 das zweite Kind bekommen. Alles auf natürlichem Wege, alle kerngesund, damals wie heute. Diese Geschichten gibt’s nämlich auch und ich wünschte, sie wären es, von denen die Ärztinnen und Ärzte uns erzählen.

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