„Aber du hast doch gar keinen Grund, traurig zu sein“ – Ein Plädoyer dafür, sensibler mit mentalen Erkrankungen umzugehen
Es gibt so Sätze und Reaktionen mancher Menschen, die grundsätzlich nicht übergriffig und verletzten gemeint sein mögen, aber es schlicht und ergreifend sind. Einer dieser Sätze, den vermutlich jene von uns kennen, die an mentalen Erkranungen leiden, lautet „Warum geht es dir denn so schlecht? Du hast doch gar keinen Grund traurig zu sein“. Über diesen Satz habe ich in den vergangenen Monaten viel nachgedacht. Zum einen, weil ich ziemlich oft ziemlich traurig war. Zum anderen, weil ich mich dabei erwischt habe, mir an traurigen Tagen selbst vor den Latz zu knallen, dass ich doch eigentlich gar keinen Grund habe, traurig zu sein …
Mein erster Therapeut meinte in einer Sitzung mal zu mir: „Wissen Sie, Sie sind per se kein depressiver Mensch.“ Damals verbuchte ich diese Aussage als Art Hinweis darauf, dass die Geschehnisse und das Leben, die damals auf mein junges Ich einprasselten, mich depressiv werden ließen. Aber ist das wirklich so? Muss immer etwas vorgefallen sein, um eine Depression zu entwickeln? Was, wenn ich aus anderen Gründen traurig bin? Und das, obwohl eigentlich – zumindest mit Blick von außen – gar keinen Grund dazu habe, traurig und erschöpft zu sein …
Beklag dich nicht – läuft doch bei dir!
Womit wir auch schon bei dem großen Problem an der Sache wären:
Denn weil ich ja eben vermeintlich keinen Grund habe, traurig zu sein, habe ich es meinem privilegierten Allerwertesten jahrelang auch entsprechend verboten, einzuknicken.
Und tatsächlich erwische mich auch jetzt noch immer wieder dabei, mir eben solche Verbote aufzuerlegen.
Weil ja grundsätzlich alles gut läuft und ich mich nicht beklagen darf. So zumindest der Irrglaube.
Ja, ich wohne mit dem Lieblingsmenschen und zwei vierbeinigen, behaarten Mitbewohnern in einer traumschönen Wohnung. Die Liebe ist auch nach vielen Jahren Beziehung groß und tief und stark. Auch die Auftragslage könnte besser nicht sein und ich habe mir in den letzten Jahren in der Selbstständigkeit ein kleines Business aufgebaut, auf das ich schrecklich stolz bin. Ich bin dankbar für das, was ich mache und machen darf. Und glücklich, mir meine Träume verwirklichen zu können.
Und doch habe ich an manchen Tagen arg zu kämpfen.
Mit der Traurigkeit, die mich manchmal komplett umhaut und so schrecklich anstrengend ist.
Mit dem Druck, alles stemmen zu müssen.
Mit der Angst davor, nicht mehr aufstehen zu können, wenn ich es mir einmal erlaube, mich kurz auszuruhen.
Denn natürlich ist nie alles so tutti, wie man denkt. Nur wehren wir uns offenbar so sehr dagegen, uns dies auch einzugestehen, dass allein dieser innere Kampf zu einem waschechten Burnout führen kann.
Gebt der Traurigkeit Raum statt alle Türen und Fenster vor ihr dicht zu machen
Das größte Problem mit dem Traurigsein ist also irgendwie die Tatsache, dass wir uns so oft nicht erlauben, traurig zu sein. Weil es ja keinen Grund dafür gibt. Weil wir dann ja undankbar für das sind, was wir haben. Und weil das ja respektlos gegenüber jenen Menschen ist, die ständig von Schicksalsschlägen heimgesucht werden und einen wirklichen Grund haben, traurig sein zu dürfen. Really?
Muss immer erst etwas passieren, damit man traurig sein darf? Sind traurige Episoden im Leben nur dann legitim, wenn uns ein Schicksalsschlag umhaut?
Keine Frage, auch mein Leben ist (Überraschung!) vor einem wild um sich schlagenden Schicksal nicht gefeit. Ganz im Gegenteil: Vor allem, wenn ich auf die letzten Monate blicke, sehe ich viel Verlust, viel Trauer, viel Tod, viel Auseinandersetzung. Was, wenn ich aber schon vor diesen Erlebnissen traurig war? Wenn mein persönliches Fass schon vorher randvoll war und es diese Schicksalsschläge eigentlich gar nicht gebraucht hätte, um es zum Überlaufen zu bringen?
Es ist schwer.
Weil das Zulassen solcher Gefühle immer mit so wahnsinnig viel Auseinandersetzung einher geht und all das so furchtbar anstrengend ist.
Es ist aber auch heilsam.
Was hingegen nicht heilsam ist, sind übergriffige Reaktionen à la „Aber du hast doch gar keinen Grund traurig zu sein“. Damit überschreitet der Gegenüber nicht nur eine Grenze, sondern sorgt im schlimmsten Fall auch noch für absolute Verunsicherung. Und dafür, dass die Menschen ihre traurigen Gefühle nicht zulassen – weil sie ja vermeintlich keinen Grund dazu haben.
Inzwischen erlaube ich mir, traurig zu sein. Und mir keine Zweifel an meiner Gefühlswelt einreden zu lassen. Insofern lautet mein Plädoyer nicht nur, sensibler mit mentalen Erkrankungen umzugehen, sondern der Traurigkeit Raum zu geben statt alle Türen und Fenster vor ihr dicht zu machen. Sie zuzulassen und sich ehrlich einzugestehen, dass vielleicht doch nicht immer alles so rosig ist, wie es manchmal scheint. Und wisst ihr was? Allein das, kann schon richtig guttun und ein erster wichtiger Schritt auf unserer Reise quer durch die mentale Gesundheit sein.
Hinterlasse einen Kommentar