Gibst du etwa auf, oder was? Oder: Die Sache mit dem Scheitern
Wie definiert ihr den Begriff Scheitern? Bedeutet er, dass mit einer Sache, einem Projekt, einem Vorhaben abgeschlossen und ein endgültiger Schlussstrich darunter gezogen wird? Oder impliziert vermeintliches Scheitern gleichermaßen, dass doch irgendwo die eine oder andere Tür geöffnet wurde? Oder anders formuliert: Kann man eigentlich so richtig scheitern, ohne daraus nicht doch etwas Gutes zu ziehen?
„Ich scheitere. Und es hat doch jedes Mal etwas Gutes, zumindest einen Funken davon. Schon allein der Fakt, dass ich nur scheitern kann, weil ich vorher etwas wollte und versucht habe, es zu schaffen.“
Anne Dittmann
Ich möchte schnell erklären, warum ich mir (und zugegebenermaßen auch euch) all diese Fragen stelle: Denn Anne, Eszter und Jasmin haben gestern leider das Ende von „Eigenes Zimmer Mag“ bekannt gegeben – ihrem wunderbaren Online-Magazin für Raum für Selbstbestimmung, in dem es gerne auch mal lauter, wütender, ehrlicher zuging. Über den Grund für das Ende schreiben sie in einem Abschieds-Post auf Instagram: „[…] Wir sind drei pflegende, teils allein- und getrennterziehende, teils angestellt und selbständig arbeitende, neurodiverse Mütter von insgesamt 6 Kindern. Wir wollten es trotzdem versuchen, weil wir an die Idee geglaubt haben. Für sie haben wir einander motiviert, uns miteinander gestritten und wieder vertragen, mit unseren Ressourcen gehandelt und einander beigestanden. Aber wir müssen einsehen, dass wir Inklusion und Selbstbestimmung nicht in einem Vakuum erschaffen können. […]“.
Lasst uns den in unserem Denken verankerten Satz „Ich habe Angst zu scheitern“ in etwas Positives umkehren
Das Kapitel „Eigenes Zimmer Mag“ wurde also beendet. So weit, so traurig. Sind diese starken, mutigen, ehrlichen Frauen also gescheitert? Genau an dieser Stelle kommt vermutlich die persönliche Definition dieser Begrifflichkeit zum Tragen. Auch auf ihren persönlichen Instagram-Kanälen beziehen die Autorinnen ergänzend Stellung – und vor allem die Worte der wunderbaren Anne Dittmann haben mich so gepackt, dass ich mich also gefragt habe, was es mit diesem Scheitern, vor dem so viele von uns Angst haben, eigentlich auf sich hat. Denn Anne bringt das Ganze goldrichtig auf den Punkt: „Ich scheitere. Und es hat doch jedes Mal etwas Gutes, zumindest einen Funken davon. Schon allein der Fakt, dass ich nur scheitern kann, weil ich vorher etwas wollte und versucht habe, es zu schaffen.“ Für mich und meine ganz persönliche Definition des Begriffs „Scheitern“ liegt genau in dieser Aussage der wesentliche Dreh- und Angelpunkt. Somit lautet mein Plädoyer für heute, den in unserem Denken verankerten Satz „Ich habe Angst zu scheitern“ in etwas Positives umkehren. Das sollten wir ohnehin viel häufiger und bewusster tun: vermeintlich negative Dinge in etwas Positives umkehren. Denn die bloße Angst zu scheitern, bringt uns häufig dazu, Neues gar nicht erst in Angriff zu nehmen. Kann das der richtige Ansatz sein? Ich glaube nicht.
Scheitern wir eigentlich auch, wenn andere gar nichts davon mitbekommen?
Denn können wir wirklich davon sprechen, gescheitert zu sein, wenn andere Menschen dadurch etwas für sich gewinnen durften? So wie die Leser:innen von "Eigenes Zimmer Mag", denen die Texte der Autorinnen wahnsinnig viel mit auf den Weg gegeben haben.
Und weiter: Kann man überhaupt noch scheitern, wenn man immerhin den Mut hatte, etwas Neues zu versuchen? Auch, wenn das zunächst erstrebte Ziel nicht erreicht wurde? Bedeutet es automatisch zu scheitern, weil ein ursprünglich gesetztes Goal nicht erreicht wurde?
Oder scheitert man nur dann, wenn man Dinge gar nicht erst versucht?
Und da ist noch eine Frage, die ich mir in diesem Zusammenhang gestellt habe: Scheitern wir eigentlich auch, wenn andere gar nichts davon mitbekommen? Worauf ich hinaus will, ist die Transparenz rund um gescheiterte Ziele. Denn nur zu oft neigen wir doch dazu, negative Erfahrungen und verfehlte Ziele heimlich still und leise mit uns auszumachen. Das vermeintliche Scheitern wird also unter den sprichwörtlichen Teppich gekehrt und indem nicht laut darüber gesprochen wird, ist es also auch nicht passiert. So zumindest in unserer Vorstellung. Really? Auch hier sehe ich Anne Dittmanns ehrlichen Spiegel, den sie sich und uns allen vorhält, als wundervollen Schubser, der uns daran erinnern soll, transparenter mit unseren Erfahrungen umzugehen – auch, wenn wir mal nicht die erstrebten Ziele erreicht haben. Insofern lautet mein zweites Plädoyer, Scheitern nicht nur als elementaren Aspekt unseres Lebens zuzulassen, sondern auch offen und ehrlich darüber zu sprechen.
Wir sehen nur den vermeintlichen Erfolg von Menschen, nicht den Kampf, der dahintersteckt
Die wenigsten Erfolgsgeschichten sind aus einem One-Shot entstanden. Oft ist es aber genau das, was wir sehen wollen. Wir sehen nur den vermeintlichen Erfolg von Menschen, nicht den Kampf, der dahintersteckt. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass vorheriges Scheitern, Neubeginne, Zweifel und viele vergossene Tränen dahinterstecken. Lasst uns also das Scheitern salonfähig machen. Und die negative Assoziation, die wir mit dem Begriff haben, ein für alle mal wegwischen. Darauf können und sollten wir stolz sein – und jeder nicht geschaffte Weg eröffnet möglicherweise einen neuen Pfad, den wir gehen können auf unserem Weg zum Ziel. Dass uns auf diesem nicht auch die eine oder andere Herausforderung und Auseinandersetzung begegnet, steht außer Frage – und genau das ist auch gut so!
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