Von der Erkenntnis, mich 30 Jahre später für dasselbe zu engagieren wie einst meine Mutter – pünktlich zur Schule zu kommen
Ich sitze am Küchentisch, mit einem kalten Kaffee in der Hand und dem Blick auf leere Müslischalen, den vollgekrümelten Küchenboden und noch etwas Geschirr von gestern Abend auf der Anrichte. In solchen Momenten sinniere ich manchmal über mich als Mutter und meine Mutter. Das war also ihr sprichwörtliches täglich Brot: die weltweit unmotiviertesten Mitarbeiter, ihre vier Kinder, davon zu überzeugen, heute schlichtweg ihren Job zu machen. Halleluja!
"Mein Herz läuft gerade in die Schule, mein Kopf checkt bereits die Mails und die Küche ruft nach dem ersten Update des Tages"
Zwischen all den Hast-du-deine-Hausaufgaben-gemacht-Fragen und dem Pausenbrote schmieren verlor sie nie die Fassung, aber vermutlich des öfteren den Glauben daran, dass das ihre Berufung sein soll. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, denn ich sitze hier mit einem ganz unangenehmen Gefühl in der Magengrube und der recht schnöden Feststellung, dass sich die Schulglocke in ihrem Ton und in ihrer Wirkung in den letzten 30 Jahren scheinbar nicht verändert hat.
Wenn sich meine Tochter den Rucksack schnappt und aus der Haustür läuft, gibt es diesen Moment voller Müdigkeit und Leere: All die Mama-Liebe wurde noch mal in eine Umarmung und in ein motivierendes „Komm, heute wird es richtig gut“ gelegt. Oft lachen wir miteinander, oft sind wir aber auch viel zu spät dran und manchmal müssen wir uns noch schnell vorm Schulgong miteinander versöhnen, weil die Unauffindbarkeit eines Lieblingspullovers die Nerven überstrapaziert hat. Dann fällt die Tür ins Schloss und ich atme tief durch … Mein Herz läuft gerade in die Schule, mein Kopf checkt bereits die Mails und die Küche ruft eigentlich nach dem ersten Update des Tages.
„So oft meine Mutter den abzuräumenden Frühstückstisch als ihre persönliche Erfüllung in Frage gestellt haben wird, so oft komme ich an meine übermüdeten Grenzen zwischen Abgabe-Deadlines und der Schulglocke“
Meine Mutter hat ihr Studium geschmissen, vier Kinder bekommen und eine Karriere als Hausfrau eingeschlagen. Ich habe mein Studium mit Abschluss beendet, eine Tochter bekommen und mich für einen Spagat entschieden. Täglich wage ich mich mit einem Bein ins Büro, mit dem anderen ins Mutter-sein, verrückt. Und so oft meine Mutter den abzuräumenden Frühstückstisch als ihre persönliche Erfüllung in Frage gestellt haben wird, so oft komme ich an meine übermüdeten Grenzen zwischen Abgabe-Deadlines und der Schulglocke.
Es braucht zum Jahresende also ein paar frische Ideen! Den Lieblingspullover bereits abends parat legen? Haben wir probiert, zieht hier aber keiner konsequent durch. Oder vielleicht mehr Yoga für die nötige innere Ruhe? Dafür hat hier auch niemand Zeit. Aber wie hoch sind eigentlich die Bußgelder für das Umprogrammieren einer Schulglocke? Statt dem ultimativen Life-Hack setze ich jetzt neu auf die Karriere meiner Tochter. Sie ist nach eigener Aussage wohl ganz gut in Mathe und somit steht ihrem ersten Ferienkurs „Programmieren für Einsteiger:innen“ doch eigentlich nichts mehr im Wege. 15 Minuten würden uns schon helfen … na gut, jetzt zum Jahresende wären 30 lässig.
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