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Let‘s get political: Empathie oder nicht Empathie, das ist die Frage
Eigentlich sollte das hier eine Kolumne für mehr Empathie im (politischen) Miteinander werden. Ich habe den Text mindestens 800 Mal umgeschrieben, um meine Message so sensibel und vorsichtig wie nötig rüberzubringen: Wir brauchen mehr Empathie im Diskurs miteinander; Härte und Kampf allein bringen uns nicht weiter. Dann kamen die US-Wahlen. Und meine sorgfältig formulierte Wahrheit fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
"Ich führe seit Jahren diese wütenden, hitzigen Diskussionen im Familienkreis, zu allen denkbar politischen Themen. Jedes Mal bin ich so wütend, so erhitzt, so voller Rage, dass mein Gegenüber noch wütender wird und sich mehr in seiner Position bestätigt fühlt."
Fast alle Bücher und Geschichten, mit denen ich aufgewachsen bin, handeln von Gut und Böse – davon, dem Bösen mit Verständnis und offenen Armen gegenüber zu stehen, stets in der Annahme, die „Bösen“ seien im Grunde nur die Guten, die sich einfach mal verlaufen haben. An Erklärungsversuchen, wie zur Hölle sich so viele Menschen im November in den USA verlaufen konnten, mangelt es nicht. Pedro, einer meiner (liberal positionierten) Bekannten aus Tampa antwortete auf meine Bestürzung mit einem Schulterzucken: „Die Demokraten haben es halt einfach nicht geschafft, ihre eigenen Leute abzuholen [gemeint ist hier die Arbeiterklasse in ländlichen und urbanen Gegenden]. Schätze, die intellektuelle Überheblichkeit war dann doch kein so guter Zug im Wahlkampf.“
Bedeutet eine tolerante Gesellschaft nicht auch, jedem gegenüber tolerant zu sein?
Ohne Zweifel gehen die Ursachen für den politischen Wandel in verschiedenen demographischen Gruppen viel tiefer, aber Pedro hat hier eine Sache angesprochen, die auch mir schon lange vor dem Wahlkampf aufgestoßen ist: und zwar die Herabwürdigung der Trump-Unterstützer*Innen. Dumm, unfähig, weltfremd. Kenne ich auch aus Deutschland, das Bild begegnet uns überall auf der Welt.
Wie viele tausende Videos habe ich schon gesehen, die sich über sinnfreie Aussagen von Trump-UnterstützerInnen in Interviews lustig machen? Wie viele tausend Male habe ich mitgelacht, wenn der nächste an Lächerlichkeit kaum zu überbietende Tweet viral ging?
Und lachen wir nicht alle gern? Wenn Lachen gut tut, dann ist das Lachen über Menschen mit entgegengesetzten politischen Ansichten besser als Therapie, oder? Das Problem dabei ist leider, wenn es die Seite macht, die unserem Weltbild entspricht, ist es witzig, genial, schlau. Wenn es die andere Seite macht, ist es niveaulos.
Aber bedeutet eine tolerante Gesellschaft nicht auch, jedem gegenüber tolerant zu sein?
Steht das wiederum in Kontrast zu meinem Recht, jemanden auszugrenzen, der sich wie ein A-Loch verhält, oder eine Politik unterstützt, die anderen Menschen Schaden zufügt?
Ohnehin ist es einfacher, gesichtslose fremde Idioten auf Instagram zu blockieren; schwieriger wird’s, wenn es Menschen in unserem Umfeld sind. Der Nachbar zum Beispiel, der netterweise immer meine Pakete annimmt. Die Tante, die jede Familienfeier seit über 30 Jahren aushaltbar macht. Oder die eigenen Eltern, von denen wir wissen, dass sie ein großes Herz haben.
UnterstützerInnen der Gegenseite entsprechen nicht immer dem Bild der radikalen, menschenverachtenden Dummköpfe. Viel öfter sind es Menschen in unserem Bekanntenkreis, die ganz und gar keine schlechten Menschen sind – im Gegenteil: Es wäre schön einfach, wenn wir Trump- und AfD-Wähler kategorisch als schlecht verteufeln könnten.
Aber das hier sind Menschen, Menschen mit realen Ängsten und Sorgen. Da hilft es nicht, sich lustig zu machen und abzustempeln. Das einzige, was hilft, ist hier, zuzuhören. Die Ängste ernst zu nehmen. Erst, wenn es echte Bereitschaft gibt, zu verstehen, was die andere Seite bewegt, kann es Diskurs geben.
Es reicht nicht, uns nur mit denen zu umgeben, die ohnehin schon so denken wie wir.
"Ist Empathie wirklich die Lösung? Eigentlich lautete meine Antwort darauf immer JA, jetzt gerade bin ich mir da nicht mehr so sicher."
Ich führe seit Jahren diese wütenden, hitzigen Diskussionen im Familienkreis, zu allen denkbar politischen Themen. Jedes Mal bin ich so wütend, so erhitzt, so voller Rage, dass mein Gegenüber noch wütender wird und sich mehr in seiner Position bestätigt fühlt. „Siehst du, mit euch kann man gar nicht diskutieren. Ihr hört ja nichtmal zu.“ Nicht hilfreich. Je gewaltsamer jemand mir seine Meinung aufdrücken will, desto weniger bin ich geneigt, sie überhaupt anzuhören – und das geht meinem Gegenüber genauso. Wenn jemand sich meine Sorgen wirklich anhört, ich mich auf Augenhöhe anvertrauen kann, mich gesehen fühle, dann bin ich bereit, mir Lösungsvorschläge und andere Sichtweisen anzuhören. Gleichzeitig ist das wohl die schwierigste Aufgabe überhaupt: Lernen, zu verstehen.
Und der Versuch, zu verstehen, so Pedro, wurde in den USA verpasst. Das Gleiche könne in Deutschland passieren, bei der nächsten Wahl, sage ich. Und das wird es vielleicht auch, meint er. Macht es besser, lernt draus, sagt er. In ganz Europa. „But f*ck them all, I don’t care anymore“, fügt er dann mit einer bewundernswerten stoischen Gleichgültigkeit hinzu.
Empathie üben, also, denke ich mir. Dann öffne ich Instagram auf meinem Handy und gehe in die Kommentarspalten der New York Times. Und mir wird schlecht. Ich sehe Trumps Zusammenstellung von menschenverachtenden Figuren im Kabinett. Mein Magen zieht sich zusammen. Später gucke ich mir die Kommentare zu dem Bruch der Ampelregierung in Deutschland an – und mir wird noch schlechter. Ich denke an Pedros Worte. Ich denke an meine Geschichten. Besonders die, die unsere Liebe augenscheinlich am wenigsten verdient haben, brauchen sie am meisten – und von dieser Sorte sind hier einige unterwegs – und das nicht nur in den Kommentarspalten.
Ist Empathie wirklich die Lösung? Eigentlich lautete meine Antwort darauf immer JA, jetzt gerade bin ich mir da nicht mehr so sicher. Aber ich bin mir sicher, dass das, was da neben der Übelkeit in mir hochkommt, definitiv keine Liebe ist – es ist mein Kampfgeist.