Gastbeitrag | Scheidungsanwältin Saskia Schlemmer: „Eine paritätische Verteilung der Care-Arbeit ist nach wie vor Zukunftsvision“
Hand aufs Herz: Wie steht es um unser Wissen rund um Themen wie Scheidung, Ehevertrag und Ehe? Scheidungsanwältin Saskia Schlemmer findet: Viele Paare mögen gut vorbereitet ihre Hochzeit feiern, sind für die Ehe und eine mögliche Trennung aber wenig bis gar nicht vorberietet. Dabei ist es vor allem die Frau, die auch im Jahr 2024 noch immer ehebedingte Nachteile hat! Aus diesem Grund hat Saskia ein Buch geschrieben: "
"Ja, Männer übernehmen im Jahr 2024 bereits mehr Verantwortung und Care-Arbeit, das ist aber nicht die Mehrheit."
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Der folgende Text ist ein Auszug aus Saskias Buch, den wir freundlicherweise veröffentlichen durften:
Care-Arbeit & Erwerbsarbeit in der Ehe
In den meisten Fällen ist es doch so: Er geht arbeiten und sie macht den Haushalt und die Kinder. Bis 1977 war die Frau für den Haushalt allein verantwortlich. Heute existiert weder ein Gesetz mit derartigen Vorgaben, noch besteht aus der Vergangenheit eine Verpflichtung, dass Haushaltsführung und Kindererziehung klassischerweise von Frauen zu erledigen sind. Seit dem 1. EheRG (»Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts« ) existiert kein feststehendes Eheleitbild in Form der Hausfrauenehe mehr. Warum ich das im Jahr 2024 explizit betone? Weil auf Instagram, TikTok und Co. zahlreiche Tradewife-Accounts suggerieren, dass es anders sein könnte. Ihr bestimmt selbst, wie ihr Erwerbsarbeit und Care-Arbeit untereinander in gegenseitigem Einvernehmen aufteilt. Beide Ehepartner sind berechtigt, erwerbstätig zu sein. Genau so steht es im Gesetz. Laut Gesetz muss die Erwerbstätigkeit aber »familienverträglich« sein. Was genau darunter zu verstehen ist, ergibt sich nicht. Das Gesetz ist von 1977. Der genaue Maßstab muss heute ein anderer sein als früher. Der Begriff wirkt bei der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung fast grotesk, denn welcher Beruf ist wirklich familienfreundlich?
Der Gesetzgeber verzichtet also ganz bewusst auf ein Rollenbild. Er stellt die Haushaltsführung und die Erwerbstätigkeit in die Autonomie des Ehepaars. Es ist eure Aufgabe, die anfallenden Aufgaben fair zu teilen und gegebenenfalls neu aufzuteilen, wenn sich Lebenssituationen ändern. Keiner der Eheleute hat die letzte Entscheidungskompetenz. Und wenn die Eheleute sich nicht einigen können, dann sind beide für den Haushalt verantwortlich.
Merke:
Erwerbsarbeit und Haushaltsführung sind nach dem Gesetz gleichwertig und damit gleich viel wert.
- Saskia Schlemmer: hier erhältlich ,
- Broschierte Ausgabe: 224 Seiten
- erschienen bei: Komplett Media GmbH
Die Ehetypen
Klasssischerweise werden drei Ehe-Typen unterschieden:
1. Einverdiener-Ehe:
Typische »Hausfrauenehe«. Strikte Aufgabentrennung (Haushaltsführung & Erwerbsarbeit). WICHTIG: Auch im Rahmen der Einverdiener-Ehe ist der erwerbstätige Ehepartner zur Mithilfe im Haushalt verpflichtet.
2. Doppelverdiener-Ehe:
Beide Ehepartner arbeiten Vollzeit, Haushaltsführung ist gleichermaßen zu teilen.
3. Zuverdiener-Ehe:
Ein Ehepartner ist voll erwerbstätig, der andere ist meist in Teilzeit tätig und übernimmt die Haushaltsführung überwiegend. Die Zuverdiener-Ehe ist das meist gelebte Ehemodell.
Bei Eltern, die eine paritätische Elternschaft leben, oft wenn die Einkommensverhältnisse nahezu identisch sind, hat sich ein vierter Ehe-Typ entwickelt: die doppelte Teilzeit-Ehe.
4. Doppelte Teilzeit-Ehe:
Beide arbeiten in Teilzeit und übernehmen gleichermaßen Haushaltsführung und Care-Arbeit.
Die typische Ehe in Deutschland im Jahr 2024
Obwohl keinerlei Vorgaben hinsichtlich der Rollenverteilung mehr bestehen, bleibt in unserer Gesellschaft die Zuverdiener-Ehe nach wie vor das Ehemodell, wenn eine Familie gegründet wird. Mit der Geburt des ersten Kindes zieht sich Frau ganz oder teilweise – jedenfalls temporär – aus der Arbeitswelt zurück. Und das meist unabhängig davon, ob ein Trauschein existiert oder nicht. Bei mehr als der Hälfte der Paare mit Kindern unter 12 Jahren arbeiten die Väter Vollzeit und die Mütter Teilzeit. Bei einem Viertel dieser Paare arbeitet die Mutter überhaupt nicht, während der Vater Vollzeit arbeitet. Von allen Frauen, die in einem abhängigen Beschäftigtenverhältnis stehen, arbeitet die Hälfte in Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden.
Die Statistik zeigt auch, dass Frauen mit Kindern bis 12 Jahren überdurchschnittlich viel in Teilzeit arbeiten. Außerdem ist zu beobachten, dass mit zunehmendem Alter der Kinder die meisten Frauen ihre Arbeitszeit nicht ausdehnen und weiterhin in Teilzeit arbeiten. Eine paritätische Verteilung der Care-Arbeit ist nach wie vor Zukunftsvision. Frauen leisten den Großteil der unbezahlten Arbeit, und das zulasten der beruflichen Entwicklung und der eigenen körperlichen und mentalen Gesundheit. Ja, Männer übernehmen im Jahr 2024 bereits mehr Verantwortung und Care-Arbeit, das ist aber nicht die
Mehrheit. Paritätische Modelle sind die Ausnahme. Nicht die Regel und die Realität! Insgesamt leisten Frauen 44,3 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Frauen, die Mütter sind, sind besonders benachteiligt. Der Motherhood Lifetime Penalty ist real: Mütter mit einem Kind verdienen 40 Prozent, Mütter mit drei oder mehr Kindern bis zu 70 Prozent weniger in ihrem Erwerbsleben als Frauen ohne Kinder.
Die Gründe für die Aufgabenverteilungen sind vielfältig. Generell treffen Familien immer die aus ihrer Sicht wirtschaftlich sinnvollste und am leichtesten umsetzbare Entscheidung. Es geht der Partner Vollzeit arbeiten, der mehr verdient. Das ist oftmals der Mann. Die Zeit mit den eigenen Kindern ist kostbar und sich bewusst für ein quantitatives Zeit-Modell zu entscheiden, ist legitim. Ja, das macht auch die gut ausgebildete und bezahlte Frau, jedenfalls temporär.
Es sind nicht nur die finanziellen Aspekte, welche die Zuverdiener-Ehe als sinnvolles Ehemodell erscheinen lassen. Auch die strukturellen Gegebenheiten im Jahr 2024 bedingen dieses Ehemodell. Es sind zum Beispiel nicht ausreichend Betreuungsplätze vorhanden – es fehlen aktuell in Deutschland 430.000 Kita-Plätze! Wir haben eine echte Betreuungskrise hier in unserem Land. Nicht jeder Job beziehungsweise jeder Arbeitgeber ermöglicht die Flexibilität und Toleranz, die Eltern nun mal brauchen, um Krankheit, Kitaschließungen etc. abzupuffern. Frauen mit Kindern gelten auf dem Arbeitsmarkt noch immer als unattraktiv.
Auch die Akzeptanz gegenüber Vätern, die in Elternzeit gehen wollen, ist im Jahr 2024 leider noch nicht die Regel. Ja, auch das Ehegattensplitting ist ein Mosaikstein. Dazu später mehr. Und dann gibt es auch noch die Frauen, die sich bewusst dafür entscheiden, zu Hause zu bleiben, eben weil sie es wollen. Und das ist vollkommen in Ordnung! Können wir bitte endlich anfangen, die Lebensmodelle anderer Menschen zu akzeptieren? Egal ob dieses Ehemodell bewusst gewählt wird oder die sozialen Strukturen es erzwingen. Mit der Trennung vom Partner führt dieses Modell zu Problemen und vor allem wirtschaftlichen Nachteilen. Diese Nachteile müssen auf Paarebene ausgeglichen werden. Es kann nicht sein, dass Frau die Nachteile einer familiären
Entscheidung allein trägt. Wer keine paritätische Aufteilung aller anfallenden Aufgaben hat, der muss über finanzielle Kompensationen diskutieren.