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Interview mit Autorin Martina Liel über Endometriose: „Ich fühlte mich wie der einsamste Mensch auf der Welt“
Endometriose-Betroffene wissen: Wie jede chronische Krankheit machen die Beschwerden nicht nur etwas mit dem Körper, sondern auch mit der Psyche. Wir haben mit Martina Liel gesprochen, die nach ihrem 2017 erschienenen Buch "Nicht ohne meine Wärmflasche" im vergangenen Jahr "Endometriose und Psyche - Ursachen, Auswirkungen und Bewältigungsstrategien" veröffentlicht hat.
Danke, dass du deine Erfahrung und deine Gedanken mit uns geteilt hast, liebe Martina!
Martina, dein persönlicher Weg zur Diagnose Endometriose war sehr dramatisch. Magst du uns davon erzählen?
Die ersten Symptome hatte ich mit 15 unter der Pille. Meine Schmerzen wurden nie ernst genommen und als normale Menstruationsschmerzen abgetan. Gut 13 Jahre später war die Endometriose so ausgeprägt, dass sie mir auf den Ischias drückte und in den Darm hineingewachsen war. Ich konnte nicht mehr aufrecht stehen und hatte Blutungen außer der Reihe. Damit bin ich in die Notaufnahme und nach einer Not-OP hatte ich dann die Diagnose.
Hast du dich damals alleine gefühlt mit deinen Beschwerden? Viele Menschen haben ja bis heute noch nie etwas von Endometriose gehört und noch immer werden die Beschwerden schnell mit einem Spruch wie „Stell dich nicht so an, Periodenschmerzen sind normal“ abgetan …
Ich fühlte mich wie der einsamste Mensch auf der Welt. In der Frauenklinik schien ich auf dem Gang der einzige Fall zu sein. Ich lag in der Physiotherapie neben Frauen, die gerade entbunden hatten, und hatte ständig den Gedanken: “Und in meinem Bauch wuchs so was Furchtbares!”. Den Begriff hatte ich vorher auch noch nie gehört.
Martina Liel: Endometriose und Psyche, hier erhältlich
Taschenbuch: 200 Seiten
erschienen bei: Komplett Media
"Körper und Psyche kann man nicht trennen"
Heute beschreibst du dich als „trockene“ Endometriose-Patientin. Wie genau können wir uns das vorstellen?
Bei der letzten Not-OP 2015 wegen eines Darmverschlusses hat man meine Endometrioseherde gesehen, hat sie aber nicht heraus operiert, weil der Chirurg sich nicht mit Endometriose auskannte. Wie gesagt, er war da, um mein Leben und meinen Darm zu retten. Und obwohl ich die Herde noch in meinem Körper habe, habe ich keine Symptome mehr. Daher bezeichne ich mich als “trockene” Endometriosepatientin, die ich immer noch bin. Denn durch die Folgen der OPs sind es Verwachsungen in meinem Bauchraum, die mir noch gefährlich werden könnten. So bleibt man die ewige Patientin, aber wie gesagt, seit ein paar Jahren ohne Symptome.
Wie viel Psyche steckt in Endometriose?
Das ist eine Frage, die nicht in einem Satz, sondern nur mit einem ganzen Buch zu beantworten ist. Generell würde ich hier zwei Dinge sagen: 1. Körper und Psyche kann man nicht trennen. Unsere tiefsten Glaubenssätze beeinflussen unsere Physiologie und unsere Physiologie beeinflusst unsere tiefsten Glaubenssätze. Von daher steckt Psyche immer mit drin. Inwieweit ist wahrscheinlich eher individuell verschieden. So spreche ich z.B. von einem persönlichen Schmerz-Mix. In der Wissenschaft ist man sich mittlerweile einig, dass unser Schmerzempfinden maßgeblich auch von psychisch-emotionalen Faktoren mit bestimmt wird. Wenn es darum geht, wieviel Trauma in Endometriose steckt, muss man erstmal wieder klarstellen, dass Trauma oft psychisch verstanden wird, aber mehr im Körper steckt, als man zunächst denken mag. Es wirkt sich auf die Psyche aus, aber es sind physiologische Prozesse, die dahinter stecken. So kann man ein Traumahirn auch in bildgebenden Verfahren erkennen. Forscher haben festgestellt, dass man z.B. im Erwachsenenalter mehr zu Entzündungskrankheiten neigt, wenn ein Kindheitstrauma erlebt wurde. Bei der Endometriose hat man ähnliche Assoziationen entdeckt. Bei Kindheitstrauma ist das Endometrioserisiko signifikant erhöht. Aber wie gesagt, Trauma ist nichts rein Psychisches, sondern steckt in unserem ganzen System. Da man es nicht trennen kann, ist hier die Frage schwierig zu beantworten, wie viel Psyche in der Endometriose steckt. Trauma kann auf jeden Fall mit drin stecken. Andersherum kann die Endometriose und alles, was man mit ihr erlebt, zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen. Die Schmerzen, dass einem über Jahre nicht geglaubt wird und das alles kann unser System zu sehr überwältigen. Daher sagen manche Experten auch, dass Traumatherapie immer Teil der Endometriosetherapie sein sollte.
Wie hat sich die Endometriose auf deine Psyche ausgewirkt?
Die Symptome der Endometriose haben mich schon sehr früh psychisch belastet. Rückblickend hatte ich damals schon Depressionen. Was ich aber als traumatisierend empfand, war der Umgang mit mir im medizinischen System. Dass ich nicht gehört wurde, dass meine Schmerzen als normal abgetan wurde. Als ich die Diagnose hatte, litt ich psychisch sehr unter den Nebenwirkungen der Gestagenbehandlung. Dann wurde das nicht ernst genommen. Man hat mir Vorwürfe gemacht, dass ich an meiner Krankheit selbst Schuld sei, wenn ich die Hormone nicht nehmen wolle. Das fehlende Wissen der Ärzte, was die Hormone eigentlich mit unserer Endometriose anstellen, hätte mich fast das Leben gekostet. Man hatte mir ein hochdosiertes Gestagenpräparat gegeben, um eine Abbruchblutung hervorzurufen, obwohl man von meiner Vorgeschichte wusste. Meine Endmometriose wurde dadurch so aktiv, dass es zur Schwellung meines Darms und einem erneuten Darmverschluss kam. Ich habe danach mit Proktologen und Endometriose-Experten gesprochen. Diese Kettenreaktion wurde bestätigt. Man hat bereits in Tierversuchen zeigen können, dass im vormenopausalen Zustand nicht nur reines Östrogen, sondern auch reines Gestagen die Endometriose aktivieren kann. Viele Ärzte sind sich dessen gar nicht bewusst. Es ist erschreckend, wie wenig man über die physiologischen Vorgänge der Endometriose eigentlich weiß. Das habe ich alles danach herausgefunden. Das alles hat sich viel tiefer in die Seele eingebrannt als die Endometriose an sich.
"Das Thema Muttersein mit Endometriose ist bisher in der Diskussion viel zu kurz gekommen"
Eine wichtige Erkenntnis, die du für dich persönlich gezogen hast, lautet: „Ich kann nicht in derselben Umgebung und unter denselben Bedingungen heilen, unter denen ich krank geworden bin“. Was willst du Betroffenen damit auf den Weg geben?
Heilung ist nur in Sicherheit möglich. Wenn der Körper unter Stress steht, ist er auf Überleben, aber nicht auf Heilung ausgerichtet. Was uns unter Stress setzt und was unser Körper als unsicher ansieht, ist uns oft nicht bewusst. Auf diesen Stress wurde unser System schon sehr früh geprimed, meist in den ersten sozialen Bindungen zu Menschen, von denen unser Überleben abhing. So entstanden tiefe Überzeugungen von uns selbst, die unser Überleben in diesen frühen Bindungen gesichert haben, die aber in der Folge eher schädlich für uns sind, da es zu einer anhaltenden Verleugnung unseres authentischen Selbst führt. Meist gehen wir unter der Selbstverleugnung weitere Bindungen in unserem Leben ein, die unsere frühe Bindung sozusagen imitieren. Wir suchen meist das Vertraute, ohne uns bewusst zu sein, dass das Vertraute nicht unbedingt das Sichere ist. Wenn man früher in der Familie nicht gesehn wurde, ist es wahrscheinlich, dass man eine Beziehung eingeht, in der man ebenso nicht gesehn wird. Es sind tiefgreifende Veränderungen nötig, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Mit Umgebung meine ich die Umstände, in denen wir leben. Da muss jeder für sich selbst herausfinden, was verändert werden muss. Es gibt Fragen, die man sich dabei beantworten sollte: Was macht mir Angst? Was lässt mich nicht schlafen? Wieviel von dem Stress meiner Mitmenschen nehme ich auf mich selbst? Wie oft sage ich ja, obwohl ich nein empfinde?
Du beschreibst in deinem Buch „Endometriose und Psyche“ die Endometriose als Art Partner, mit der du seit nunmehr 30 Jahren zusammen bist und sie somit die längste Beziehung deines bisherigen Lebens ist. Viele andere Betroffene etwa geben ihrer Endometriose einen Namen, wie Hildegard oder Frieda. Inwiefern hat dir diese „Vermenschlichung“ der Krankheit auf deinem Weg helfen können?
Das hat sich ganz automatisch eingeschlichen. Es ist mittlerweile fast wie ein Dialog zwischen der Endometriose und mir. Wenn es mal zwickt, sage ich ich in Gedanken zu ihr: “Ja, ja, ich weiß schon. Ist ok, ich übernehme das ja schon”, und ich weiß, da ist etwas, wo ich selbstwirksam für mich einstehen muss. Es ist ein gedankliches Tool, die Erkrankung in etwas Hilfreiches zu verwandeln. Deshalb ist sie immer noch nicht toll. Nicht, dass man das falsch versteht.
Für Nicht-Betroffene sind sowohl die körperlichen als auch psychischen Leiden, die Endometriose mitbringt, nur schwer greifbar. Welche Wegweiser sollten sie sich zu Herzen nehmen, um Betroffene bestmöglich zu unterstützen und begleiten?
Das ist ganz schwierig zu beurteilen, weil jede Betroffene ihre eigenen Bedürfnisse hat. Da kann ich nur von mir ausgehen und sagen, dass Ratschläge meist nicht weiterhelfen. Mir hätte es mehr geholfen, wenn man nicht gestresst und genervt reagiert hätte, wenn man mich mal wieder ins Krankenhaus fahren musste. Wenn man mir nicht signalisiert hätte, dass das alles eine Belastung ist, sondern wenn man mir signalisiert hätte, dass es nunmal so ist und dass es ok ist. Wenn man mich oft einfach nur in den Arm genommen hätte. Wenn man Präsenz und Interesse an meinem Weg gezeigt hätte. Mein Ex-Mann hatte noch nicht einmal mein Buch gelesen. Menschliche Präsenz und Wärme, das ist alles, was wir brauchen.
In „Endometriose und Psyche“ beschreibst du die Unberechenbarkeit von Endometriose – sowohl in körperlicher als auch mentaler Hinsicht. Was genau macht die Erkrankung so tückisch?
Dass sie sich in jeder Person anders verhalten kann. Manche haben schneller fortschreitende Formen als andere. Und dass sie sich auch innerhalb einer Person immer wieder anders verhalten kann. Man weiß nicht, bin ich gerade in einer fortschreitenden Phase oder hält sie jetzt mal still? Ist sie jetzt nur an meinem Eierstock, oder ist der jetzt schon mit dem Darm verwachsen? Kommen die Blasenprobleme wirklich von der Blase oder sind Nerven im Becken betroffen, die die Blase kontrollieren?
"Prominente mit Endometriose führen hoffentlich zum Bewusstsein, dass es keine seltene Erkrankung ist"
Warum kommt es auch heute noch so schwer zu einer (richtigen) Diagnose?
Zum einen sind viele Gynäkolog:innen tatsächlich nicht genügend aufgeklärt. So glauben manche z.B., dass es keine Endometriose sein könne, wenn man die Schmerzen nach der Periode hat und nicht währenddessen. Aber die Schmerzen können immer im Zyklus auftreten. Es gibt viele unspezifische Symptome, bei denen man erst mal andere Ursachen vermutet. Dann herrscht leider noch die Vorstellung, dass extreme Menstruationsschmerzen normal seien. Und es ist immer noch so, dass nur ein operativer Eingriff zur Diagnose führen kann. Bei jungen Mädchen scheut man sich oft vor so einem Eingriff. Einen Bluttest oder ähnliches gibt es leider noch nicht.
Endometriose führt leider auch häufig zu einem unerfüllten Kinderwunsch. Du schreibst in „Endometriose und Psyche“ aber auch von Endometriose-Betroffenen, die keinen Kinderwunsch haben und betitelst sie augenzwinkernd als „Supergau“ in einer Arztpraxis. Worum geht es dir bei diesem Vergleich?
Bei Betroffenen mit Kinderwunsch, bei denen es erst nicht klappt, wir die Erfüllung des Kinderwunsches oftmals als erfolgreiche Behandlung der Endometriose angesehen. Da haben die Ärzte ein Erfolgserlebnis. Dass damit die Endometriose noch lange nicht behandelt sein muss, steht auf einem anderen Blatt. Aber wenn man nur mit seiner Endometriose in die Praxis kommt, und bis heute gibt es ja kein Heilmittel, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgserlebnisses für den Arzt eher gering. Es sei denn, es handelt sich um einen gut ausgebildeten Exzisionschirurgen, aber die sind leider selten. In der Regel kommt es zu einer eher unbefriedigenden Arzt-Patientinnen-Beziehung.
Es gibt natürlich aber auch Frauen, deren Kinderwunsch sich trotz Endometriose erfüllt. Doch mit der Geburt ihres Kindes ist die Erkrankung nicht wie mit einem Fingerschnippen verschwunden. Vielmehr wirkt sie sich bei vielen Betroffenen negativ auf die Kindererziehung aus …
Das Thema Muttersein mit Endometriose ist bisher in der Diskussion viel zu kurz gekommen. Daher habe ich für mein Buch bewusst mit einer Betroffenen geredet, bei der die Endometriose erst nach ihren Schwangerschaften so richtig anfing und für die es eine riesen Belastung ist, ihrer Rolle gerecht zu werden und die es daher psychisch sehr mitnimmt. Sie ist nicht die einzige, aber es wird nie darüber geredet. Ich kann mir vorstellen, dass da auch ganz viel Scham herrscht. Zudem herrscht ja immer noch das Gerücht, dass eine Schwangerschaft die Endometriose heile und wird sogar heute noch von manchen Ärzten empfohlen.
Vor allem in den sozialen Medien erhält das Thema Endometriose immer mehr Aufmerksamkeit. Und auch prominente Betroffene wie etwa Anna Wilken oder Lena Dunham sensibilisieren Betroffene und Nicht-Betroffene durch ihren offenen und ehrlichen Umgang mit ihrer Erkrankung. Diese mediale Präsenz gab es bis vor einigen Jahre noch nicht – wie nötig war diese neu erlangte Aufmerksamkeit?
Aufmerksamkeit ist immer nötig. Prominente mit Endometriose führen hoffentlich zum Bewusstsein, dass es keine seltene Erkrankung ist.
Welchen Rat möchtest du Frauen, die vermuten, an Endometriose zu leiden, mit auf den Weg geben?
Geht nicht zu einem normalen Gynäkologen, geht in eine Endometriose zertifizierte Praxis. Informiert euch über die mögliche Symptomatik der Endometriose, etwa auf der Seite der Endometriose-Vereinigung Deutschland. Schreibt ein Symptom-Tagebuch. Was triggert welche Symptome? Das können Schmerzen, Verdauungsprobleme, Migräne, Brain Fog uvm. sein. Die Trigger können die Menstruation, Sex, aber auch Stress und bestimmte Lebensmittel sein. Alles aufschreiben und mit in die Praxis nehmen!
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