Foto: Svenja Trierscheid
Saralisa Volm, wer oder was ist eigentlich schuld an unserem Schönheitsdilemma?
Saralisa Volm ist Schauspielerin, Regisseurin, Filmproduzentin und Autorin. Und sie hat Fragen. Zum Beispiel, wie viel Hyaluron in das Gesicht einer intelligenten Frau passt? Wie viel Botox man der eigenen politischen Haltung zumuten und wie viel Hängebrust ertragen kann. Mit ihrem Buch "Das ewige Ungenügend" stellt Saralisa Volm unangenehme Fragen – und gibt teils unangenehme Antworten. Weil sie einen kritischen und ehrlichen Blick auf die permanenten Fremdbestimmungen wirft, denen vor allem der weibliche Körper ausgesetzt ist. Wir haben uns mit Saralisa über die Sache mit dem Schönheitsdilemma unterhalten und gelernt: Wir alle tragen ein Stück weit Schuld daran, dass wir unsere Körper nur zu oft als Gegner betrachten …
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In „Das ewige Ungenügend“ geht es um die ewige Bewertung des weiblichen Körpers – was richtet diese Bewertung mit uns an?
Sie macht schlechte Laune und sie lenkt uns nicht selten vom Wesentlichen ab. Wir verbringen viel Zeit damit, uns selbst und andere zu bewerten, runterzumachen und nicht selten auch zu strafen oder zu missachten.
Ein typischer Aspekt, den unsere Gesellschaft kritisch bewertet und beurteilt, ist beispielsweise Gewichtszunahme – ganz gleich, ob es sich um den eigenen Körper, oder den Körper anderer Menschen handelt. Wie kommen wir endlich aus dieser Spirale heraus?
Besonders wichtig ist es, dass wir uns dem Vergleich gelegentlich entziehen. Studien zeigen, dass es uns besser geht, wenn wir Bilder von Landschaften sehen oder von Menschen, die uns ähnlich sind, als unrealistische Schönheiten. Es kann also helfen, solche Schönheitsideale zu muten. Beispielsweise, indem wir Werbung vermeiden, die mit solchen Mitteln agiert und unseren Medienkonsum anpassen, Social Media Accounts entfolgen, die uns nicht gut tun oder Zeitschriften im Regal lassen, die uns mit Diättipps versorgen. Das Wichtigste ist aber ganz sicher, dass wir uns unabhängiger und gesehen fühlen. Wer den Eindruck hat, zu genügen, so wie er oder sie ist und sich repräsentiert fühlt, ist entspannter mit dem eigenen Erscheinungsbild. Am Ende ist es also Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Inklusion, die die Spirale durchbrechen kann.
Du sprichst von einer „Körperkratie“, in der wir leben – einer Gesellschaft, in der schöne Körper regieren. Müssten wir aus feministischer Sicht nicht schon viel weiter sein?
Klar, aus feministischer Sicht wäre es sehr wünschenswert, dass wir schon viel weiter sind. Aber politische Prozesse sind langwierig und dauern nicht selten über mehrere Generationen hinweg an. Wir müssen weitermachen und die Gedanken dazu auch weitergeben. Veränderung ist ein Staffellauf.
In deinem Buch schreibst du „Der Körper ist einer der wenigen Schlachtplätze, auf denen es für Frauen einen fairen Gegner und einen Kampf mit Gewinnaussicht gibt“. Ich könnte mir vorstellen ,dass diese These nicht von allen gleichermaßen unterschrieben wird – immerhin betrachten viele Frauen ihren Körper als unfairen Gegner …
Der Gegner mag manchmal unfair erscheinen, aber wir können immerhin agieren, eine Meinung entwickeln und Sachen umsetzen. Im Job und in Beziehungen, etc. ist das oft weniger möglich. Viele Frauen leben in ökonomischer Abhängigkeit, stoßen an gläserne Decken und fühlen sich nicht ausreichend repräsentiert. Den eigenen Körper zu unterdrücken und dabei auch einmal Macht zu empfinden, kann da eine vermeintlich befreiende Wirkung haben.
Wer oder was ist eigentlich schuld an unserem Schönheitsdilemma?
So bedauerlich das klingt: Wir alle. Diejenigen, die Profit daraus schlagen und dank unserer Unzufriedenheit und unserem schlechten Gewissen Geld verdienen, genauso, wie diejenigen die in uns festgesetzte Gedanken perpetuieren. Eltern, die Töchter zur Gefallsucht anhalten, Magazine die Cellulite bei Stars anprangern und Menschen die Rollenbilder in unseren Köpfen festzementieren. Es sind wir alle, die unsinnige Produkte kaufen, über andere Körper lästern und das Engagement für mehr Gleichberechtigung gerne mal an der Kasse abgeben, wenn wir uns in neue Turnschuhe verliebt haben. Es ist schwer sich dem zu widersetzen und gerade deshalb ist jeder Moment, in dem es gelingt ein guter Schritt.
Saralisa Volm: Das ewige Ungenügend: Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers | Wo bleibt die weibliche Selbstbestimmung?
Lass uns über das Stichwort Selbstliebe sprechen: Muss man sich eigentlich selbst lieben?
Insgesamt sollten wir viel weniger Müssen und mehr Dürfen, Können, Wollen. Unsere Psyche ist komplex. Zufriedenheit und Selbstliebe können das Ergebnis von Glück sein oder von harter Arbeit. Psychische Gesundheit und ein stabiles Selbstbewusstsein können viel Geld, Zeit und Ressourcen kosten. Das kann sich nicht jede leisten. Bis dahin sollte es erstmal reichen, dass wir weiteratmen und da sind. Selbstliebe ist etwas Schönes, aber sie lässt sich nicht erzwingen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir den Selbstliebe-Druck rausnehmen.
Selflove und Body-Neutralism zum Trotz führt das ständige Bewerten von Körpern noch immer häufig zu einem ungesunden Umgang mit dem Thema Essen. Dabei können Essstörungen sich in unterschiedlichen Formen zeigen. Warum sind noch immer so viele Frauen betroffen?
Meine Recherchen zum Buch haben mir noch einmal verdeutlicht, dass es zu kurz gegriffen ist, Essstörungen ausschließlich mit der Bedeutung schlanker Körper in unserer Gesellschaft zu assoziieren. Als eine mögliche Form von Selbstverletzung, findet sich im Schlankheitswahn natürlich oftmals ihre oberflächliche Begründung. Essstörungen sind jedoch komplexe psychische Erkrankungen, die viel mit dem Gefühl eines „Ungenügend“ zu tun haben können oder sich auch aus traumatischen Erlebnissen oder Familienkonstellationen formen. Es macht hier Sinn, noch viel genauer hinzusehen und diese Krankheiten als so gefährlich wahrzunehmen, wie sie sind.
Du selbst hast Bulimie überlebt und gibst in deinem Buch ehrliche Einblicke in diese Zeit. Wie hast du es da raus geschafft kann man eine Essstörung überhaupt endgültig überwinden?
In meinem Fall war das eine lange Reise mit vielen Rückfällen. Das ist recht üblich, denke ich. Die ausgetrampelten Pfade im Gehirn bieten sich immer wieder als Option an, wenn das Leben in eine Unwucht gerät. Das bleibt, wird jedoch weniger. Ich denke es ist wichtig dem Körper Zeit zu geben und Raum. Gesundheit lässt sich nicht erzwingen, nur fördern.
Wie würdest du heute dein Verhältnis zu deinem Körper beschreiben?
Erstaunlicherweise ist mein Verhältnis zu meinem Körper heute ein besseres als früher, obwohl er, objektiv betrachtet, schlechter in shape ist. Es ist auch nicht verwunderlich, dass sich insbesondere junge Leute unwohl fühlen oder auch unters Messer legen. In unserer Findungsphase sind nicht wenige von mehr Unsicherheiten begleitet, die sich auch auf den Körper auswirken. Das wird oftmals besser, wenn wir älter werden. Trotzdem bin ich natürlich überhaupt nicht zufrieden mit meinem Körper. Diese Tatsache belastet mich allerdings viel weniger. Das hat etwas Befreiendes.
Du bist vierfache Mutter. Haben sich deine Schwangerschaften auf das Verhältnis zu deinem Körper ausgewirkt?
Mit Sicherheit. Aber ich kann das nicht genau eingrenzen. Ich war zwischen 23 und 33 vier mal schwanger oder stillend. In der gleichen Zeit bin ich 10 Jahre älter geworden, habe mich immer wieder beruflich verändert, Verantwortung übernommen, Bücher und Kunst zum Thema Körper gelesen, mich bewegt oder rumgelümmelt, Sex gehabt, mich gefühlt, hinterfragt und verändert. Am Ende ist das Verhältnis zu meinem Körper geprägt von meinem Gesamterleben.
"Wann lernen wir endlich, dass ein Frauenkörper sich selbst gehört?! Wie wir ihn modifizieren oder vernachlässigen, wie wir ihn ausstellen oder verhüllen bleibt uns überlassen und ist wesentlicher Bestandteil eines freien Lebens."
Wenn es um das Bewerten des weiblichen Körpers geht, geht es auch um Frauen, die sich Schönheits-OPs unterziehen oder sich Botox spritzen lassen. Häufig müssen diese Frauen sich für die Eingriffe rechtfertigen, dabei diktiert ihnen der Schönheitsdruck doch eigentlich diesen Weg. Ein Widerspruch?
Ein Widerspruch? Ich finde, es ist eine Unverschämtheit. Wann lernen wir endlich, dass ein Frauenkörper sich selbst gehört? Wie wir ihn modifizieren oder vernachlässigen, wie wir ihn ausstellen oder verhüllen, bleibt uns überlassen und ist wesentlicher Bestandteil eines freien Lebens. Wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen wir die Voraussetzungen für Frauen* verändern. Mitspracherecht, Chancengleichheit und Vielfalt haben da gewiss größeren Einfluss als eine Einzelperson zu bodyshamen. Das ist schlechter Stil, der die wahre Ignoranz gegenüber der Situation und Stellung von Frauen* verdeutlicht.
Welches Bewusstsein rund um den eigenen Körper möchtest du deinen Kindern mit auf den Weg geben?
In erster Linie möchte ich unabhängige, selbstbestimmte Wesen erziehen. Menschen, die wissen, dass sie ein Recht haben „Nein“ zu sagen und ihren eigenen Bedürfnissen zu folgen. Ich würde mir wünschen, dass meine Kinder wissen, wo sie Informationen zu körperlicher und psychischer Gesundheit finden, Zugänge dazu haben und sich vor allem auch trauen um Hilfe zu bitten oder sie einzufordern, wenn sie notwendig ist.
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