Hört auf zu fragen, wann wir Kinder kriegen oder endlich heiraten wollen
Wie sagt man noch so schön? Jemandem brennt etwas sprichwörtlich unter den Nägeln … Wenn diese Redensart beinhalten soll, dass man Themen anspricht, die einen schon seit geraumer Zeit wurmen, dann mache ich nun genau das und appelliere im Namen vieler Menschen an viele Menschen da draußen: Hört auf uns zu fragen, wann wir denn nun für Nachwuchs sorgen oder endlich vor den Traualtar treten. Oder lasst uns anders beginnen und das sprichwörtliche Kind einmal beim Namen nennen: Als Frau um die 30, die seit Jahren in einer festen Partnerschaft lebt, nicht gefragt zu werden, wie es an der Kinderfront aussieht, ist ein schier unmögliches Unterfangen.
Auch heute ist es in den Köpfen vieler Menschen nun einmal verankert, dass zu Beziehungen Hochzeiten, Kinder und im Idealfall nun einmal auch ein freistehendes Einfamilienhaus im Neubaugebiet am Stadtrand gehört. Und somit muss es auch niemanden wundern, dass bei Familienfesten, Weihnachtsfeiern und Co. spätestens nach dem zweiten Rotwein der obligatorische Fragenkatalog unter dem Deckmantel des Smalltalks auf den Tisch gelegt wird. Und zwar mit Karacho. Oder Vollgas. Oder wie man das auch sonst nennen möchte. Denn ob eben diese Fragen in der befragten Person etwas auslösen, was nicht zwingend positive Gefühle mit sich bringt, ist den meisten Menschen egal. Denn sie fragen ja aus Interesse. Weil man das doch so macht. Und eben weil es zum guten alten Smalltalk gehört. Willkommen jenseits der sechziger Jahre!
Lasst mich eines vorab sagen: Babys, Hochzeiten und der Traum vom Eigenheim sind toll, keine Frage! Was aber nicht toll ist, ist der gesellschaftliche Druck, der häufig auf genau diesen Themen liegt. Und eben dieser Druck liegt tief innerhalb der sozialisierten Denkweise verankert. Weil man es den Eltern ja recht machen möchte. Weil es doch der nächste logische Schritt ist, nach der Hochzeit für Nachwuchs zu sorgen. Weil man Mama und Papa zu Oma und Opa machen möchte. Weil Eigentum den Traum einer gesicherten Zukunft perfekt macht.
Dass eben jene Denkweise in den Köpfen vieler Menschen verankert ist, stellt der bereits in den Raum geworfene Fragenkatalog immer wieder gekonnt unter Beweis. Denn entscheiden sich Singles, Paare oder Getrennte für einen anderen Weg, als den "gesellschaftlich akzeptierten", tun sie in erster Linie eines: Sie verunsichern manche Menschen. Womit wir auch schon mittendrin wären im Bombardement der übergriffigen Fragen.
Paare, die gerade Eltern geworden sind, werden gefragt, wann denn das zweite Kind "hinterher" komme. Unabhängig davon, dass ein Paar sich zunächst einmal vollkommen neu finden muss im Family-Game und es scheint, als gebe ein ungeschriebenes Gesetz vor, dass nach dem ersten Baby unmittelbar Baby Nummer zwei in Angriff genommen werden müsse.
"Eines haben alle Fragen dieser Art gemeinsam: Sie können tiefe Wunden schaffen oder vermeintlich geheilte Narben wieder aufreißen. Sie können verunsichern und Menschen das Gefühl vermitteln, sich rechtfertigen und erklären zu müssen"
Singles, die sich gerade aus einer schwierigen, toxischen oder unglücklichen Beziehung gelöst haben, werden gefragt, ob sie sich der Tatsache bewusst seien, dass die Uhr tickt und man ja immerhin nicht jünger werde. Unabhängig davon, dass es alles andere als eine Schande ist, alleinstehend zu sein. Denn sollten wir nicht lieber ein glücklicher Single als ein unglücklich verpaarter Mensch sein?
Kinderlose Paare werden gefragt, wann denn endlich mit Baby-News zu rechnen sei. Unabhängig davon, dass hiermit auf übergriffigste Art und Weise in das Intimleben von Menschen gegrätscht wird. Denn vielleicht versuchen sie bereits seit Ewigkeiten, ein Kind zu bekommen. Vielleicht mussten sie schon Fehlgeburten erleiden. Vielleicht wissen sie noch nicht, ob sie überhaupt Kinder bekommen wollen und das belastet sie. Oder sie wissen es und haben sich für einen Weg ohne Kind, jedoch mit jeder Menge Rechtfertigungen entschieden.
Paare, die ohne Trauschein glücklich sind, werden gefragt, wann denn mal endlich geheiratet werde. Immerhin sei man ja schon einige Jahre zusammen. Und da sei es doch normal, endlich einmal den nächsten Schritt zu gehen.
Eines haben alle Fragen dieser Art gemeinsam: Sie können tiefe Wunden schaffen oder vermeintlich geheilte Narben wieder aufreißen. Sie können verunsichern und Menschen das Gefühl vermitteln, sich rechtfertigen und erklären zu müssen. Dabei zählt doch eigentlich nur eines: Jeder Mensch gehört sich selbst. Und sonst niemandem. Das Leben des Einzelnen darf nicht zum Thema für Smalltalks und Klatsch-und-Tratsch-Runden werden. Also, hört auf zu fragen, wann wir endlich Kinder bekommen, heiraten und ein Haus bauen.
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