Clemens Porikys für Hubert Burda Media
Britta Kiwit von avalino.diversity über Geschlechterklischees im Kinderzimmer und ihre Petition gegen Gendermarketing
Ich stelle mal die steile These auf, dass ihr Britta von @avalino.diversity garantiert eh alle kennt. Auch ich als Nicht-Mama folge ihr schon lange und liebe ihren Ansatz, mit gesellschaftskritischer Comedy auf Geschlechterklischees im Kinderzimmer hinzuweisen. Und spätestens, wenn Britta in die Rolle von Onkel Herbert schlüpft, kann man nicht mehr anders und muss diese Frau für ihre augenzwinkernde Weise, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, einfach mögen. Kein Wunder also, dass ich mich riesig gefreut habe, ein wenig mit ihr zu plaudern und im Gespräch mehr über ihre Petition #SpielzeugKenntKeinGeschlecht, ihre eigene Reise zur geschlechtsneutralen Erziehung und ihre derzeitigen Lieblings-Kinderbücher erfahren zu dürfen.
Danke für deine Zeit und die Einblicke in deine spannende und wertvolle Arbeit, liebe Britta!
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Liebe Britta, du hast die Petition #SpielzeugKenntKeinGeschlecht: Schluss mit geschlechtsspezifischer Spielzeugwerbung! ins Leben gerufen! Was ist das Ziel der Kampagne und wo liegt mit Blick auf das Spielzeugregal im Handel das Problem?
Mit der Kampagne möchte ich geschlechtsspezifischer Spielzeugwerbung den Kampf ansagen. Denn das Spielzeug nach Geschlecht vermarktet wird, ist der Anfang allen Übels. Die meisten Klischees sind tief in unseren Köpfen verankert: Mädchen sind lieb, spielen mit Puppen und tragen Rosa; Jungs wollen kämpfen, spielen mit Baggern und tragen Blau.
Dass diese Geschlechterklischees nicht biologisch vorbestimmt sind, sondern von der Gesellschaft zugeschrieben werden, wissen die meisten Menschen gar nicht. Mein Wunsch ist daher, Spielzeug nach Funktionen oder Themen und nicht nach Geschlecht vermarktet wird – denn Dinos, Bagger und Puppen sind für alle da.
Warum spielt die rosa-hellblaue Falle noch immer eine so große Rolle in den Köpfen der Menschen?
Weil diese Denkweise in "Jungs- und Mädels"-Spielzeug von der Spielzeugindustrie befeuert wird und hochgradig lukrativ ist. Es gibt eine großartige Grafik zum Thema "Der Teufelskreis des Gendermarketings" vom gemeinnützigen Verein klischees e.V- und der Rosa-Hellblau-Falle® [von Almut Schnerring & Sascha Verlan, Anm. d. Red.], die das sehr gut erklärt: Wenn Produkte in Rosa und Hellblau hergestellt werden, nimmt geschlechtsspezifisches Marketing zu, wodurch die Normen für weibliche und männliche Rollenbilder verschärft werden. Der soziale Druck, in diese Rollen zu passen, nimmt zu und die Wahlfreiheit ab, sich individuell zu entfalten. Das wiederum führt zu der Vorstellung, dass Mädchen und Jungen grundlegend unterschiedliche Interessen haben, weshalb mehr Produkte geschlechtsspezifisch entwickelt und vermarktet werden und wir wieder vorne anfangen.
Auf deinem Instagram-Kanal avalino.diversity machst du mit einem Augenzwinkern auf Themen wie Geschlechterschubladen im Kinderzimmer aufmerksam. Wo siehst du die größten Hürden wenn es um Genderklischees geht?
Die größte Hürde ist, dass Geschlechterschubladen wirklich überall reproduziert werden. Aufgrund von Kleiderfarbe (blau = muss ein Junge sein) und Haarlänge (lange Haare = muss ein Mädchen sein) wird auf jedem Spielplatz sofort auf das Geschlecht geschlossen, Verwandte haben Angst, etwas Falsches zu schenken und Verkäufer:innen fragen im Spielzeugladen bei der Beratung als erstes, ob das Geschenk denn für ein Mädchen oder einen Jungen sei.
Dabei geht es mir nicht darum, Mädchen zu verbieten, Kleider zu tragen (meine Tochter liebt ihre Einhorn-Kleider) oder mit Puppen zu spielen, sondern explizit auch Jungen zu inkludieren. Dieses Umdenken anzustoßen geht nur über die Sensibilisierung der breiten Masse - also über alle Menschen mit Kindern im Umfeld. Denn auch wenn das ganze erstmal harmlos wirkt und viele Leute bei der Thematik die Augen rollen: Studien zeigen, dass die frühkindliche Prägung sogar die Berufswahl von Kindern beeinflussen kann.
In der Theorie befürworten viele Eltern genderneutrale Erziehung – in der Praxis sieht das aber häufig anders aus. Warum, denkst du, ist das so?
Wir können uns alle Zuhause bei der eigenen Erziehung den Mund fusselig reden und geschlechtsneutral erziehen – solange sexistische Werbung und Gendermarketing überall präsent sind, werden Kinder ganz automatisch in Schubladen gepackt.
Egal, ob auf dem Spielplatz, im Supermarkt oder in der Kita: Kinder werden auch im Alltag überall mit Rollenbildern konfrontiert und natürlich lassen "Hänseleien" nicht lange auf sich warten. Ich habe es selbst schon miterlebt, dass Jungs Angst vor der Farbe Rosa haben, weil es eine Mädchenfarbe sei und sie ausgelacht wurden. Ich werde daher nicht müde, meinem Kind beizubringen, dass Farben für alle da sind.
Ertappst du dich manchmal selbst auch dabei, in eine Genderklischee-Falle zu treten?
Na klar! Aber ich muss zugeben, ich werd auch immer besser. Ich rede zum Beispiel immer nur noch von dem "Kind", wenn ich den Namen nicht weiß und versuche, das Geschlecht der Kinder weniger zu lesen, weil es auch einfach so egal ist. Wichtig zu betonen ist mir nochmal, dass es niemals darum geht, Kindern etwas zu verbieten, sondern alle zu inkludieren. Heißt, es ist vollkommen normal, dass Jungs weiterhin mit Baggern spielen und Mädchen lange Haare haben. Es geht um eine Stärkung der Wahlfreiheit.
Wenn du nicht gerade wichtige Petitionen ins Leben rufst, setzt du dich bei avalino.diversity für mehr Diversität in Kinderbüchern ein. Wann war dein Schlüsselmoment, in dem du begriffen hast, dass Vielfalt in vielen Kinderbüchern häufig nicht stattfndet?
So richtig bewusst wurde mir das Problem erst bei einem Buch namens "Auf der Baustelle". Da war mein Kind 1,5 Jahre alt und liebte Bagger und große Maschinen. In dem Buch auf der Baustelle waren nur männliche Bauarbeiter zu sehen und ich fragte mich zum ersten Mal bewusst: "Wo sind hier eigentlich die Kranführerinnen? Was ist, wenn meine Tochter jetzt denkt, dass sie nicht Bauarbeiterin werden kann?"
In der selben Nacht fing ich an zu recherchieren und stellte noch viel mehr fest: Dass viele Bücher und Spielzeuge ausschließlich weiße Familien zeigen, die aus Vater, Mutter und ein bis zwei Kindern (alle mit den gleichen dünnen Körpern) bestehen und alle in großen Häusern leben. Ich fragte mich, wie einseitig, trist und unwahr die Welt ist, die ich meinem Kind beim Vorlesen zeige. Und: Wie müssen sich Schwarze Kinder, aber auch Eltern und Kinder mit Behinderungen oder Kinder mit zwei Papas fühlen, wenn sie sich in Büchern und Geschichten nie wiederfinden und sich nie mit den Charakteren identifizieren können?
Verrätst du uns deine beiden derzeitigen Lieblings-Kinderbücher?
Das Wimmelbuch "Komm, wir zeigen dir unseren Wald" von Constanze von Kitzing, für Kinder ab ab 1-2 Jahren. Und das diskriminierungssensible Aufklärungsbuch "Sex in echt - Offene Antworten auf Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät" von Nadine Beck und Rosa Schilling, für Kinder und Jugendliche ab 11 Jahren.
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