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Meine Learnings aus vier Jahren Selbstständigkeit – oder die Suche nach dem besten Krokanteis
Eigentlich sollte das hier eine Kolumne werden über die fünf wichtigsten Dinge, die ich in vier Jahren Selbstständigkeit gelernt habe. Einfach und schnell, wollte ich den Text schon längst vor einigen Tagen abgegeben haben. Aber während der Mann am Nebentisch im Café lauthals die zweifellos fesselnde Geschichte von der Suche nach dem perfekten Krokant-Eisbecher erzählt, ärgere ich mich über meine gefühlt achthundert Entwürfe für diese Kolumne und frage mich, wieso ich es nicht einfach mal mit dem ersten Versuch gut sein lassen kann. Aber vielleicht, so wird mir im selben Moment klar, ist es mit der Selbstständigkeit genau wie mit dieser Kolumne und dem Mann mit seinem Krokant-Eis: Manchmal braucht‘s eben mehrere Versuche, bis wir gefunden haben, wonach wir suchen.
Es heißt immer, wir lernen aus unseren Niederlagen weitaus mehr als von unseren Erfolgen. Aber wenn es die eigene Selbstständigkeit betrifft, möchte verständlicherweise niemand Tiefpunkte oder Niederlagen planen. So ging es auch mir, als ich vor vier Jahren meinen sicheren Job mit grandiosen Zukunftsaussichten gekündigt habe, um den großen Traum der Freiberuflichkeit wahrzumachen. Wobei es eigentlich eher der Wunsch war, mich endlich aufs Schreiben zu konzentrieren – und der einzige Weg, das umzusetzen, führte über die Freiberuflichkeit. Genauso wenig, wie ich einen Plan zur Umsetzung hatte, ließ ich den Gedanken vom eventuellen Scheitern zu. Ganz nach dem Motto „learning by doing“ sprang ich, ohne große Vorbereitung, ins kalte Wasser – und hoffte aufs Beste. Immerhin wusste ich, wie ich am Ende rauskommen wollte: als erfolgreiche Romanautorin und Kolumnistin. Die Zwischenschritte würden sich schon fügen, wenn ich erstmal losgegangen war. Taten sie nicht.
Nicht alle Wege führen nach Rom … aber zum Finanzamt
In all den Jahren, in denen ich den Wunsch hatte, zu schreiben, tat ich vor allem eins … Nicht schreiben. Plötzlich war ich damit beschäftigt, mich in allen möglichen Bereichen auszuprobieren, in die ich eigentlich nie wollte. Ich versuchte mich an der Durchführung von Lerntrainings und initiativ Workshops und absolvierte Fortbildungen im Coachingbereich. All das, nur um am Ende die Tätigkeit aufzunehmen, die ich bereits vor meiner Selbstständigkeit ausgeübt hatte: Hochschullehre. Zeit zum Schreiben blieb dabei erstmal nicht, aber schließlich braucht jede gute Schriftstellerin etwas Real-Life-Recherche – und genug Rücklagen, um die Steuervorauszahlungen zu begleichen. Alle Wege führen nicht nach Rom, dafür aber direkt zum Finanzamt.
"Jedes Mal, wenn Bekannte halb scherzhaft, halb neidisch zu mir sagen, das müsse ja ein schönes Leben sein, die Freiheit zu haben, immer zu reisen und sich jeden Tag frei einteilen zu können, dann denke ich mir: Ja, das ist es. Aber es ist auch hart erkämpft."
Die Angst vorm Scheitern ist schlimmer als das Scheitern selbst
Irgendwo habe ich mal gelesen, dem Universum würde es nicht gefallen, wenn wir es uns zu gemütlich in unserer Komfortzone machen – aber ich glaube, das Universum hat einfach einen kleinen Hang zum Sadismus. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, wieso mir jedes Mal die Aufträge und Jobs platzten, wenn ich das Gefühl hatte, es lief gerade besonders gut. Die wohl größte Angst der meisten Freiberufler:innen wurde zu meiner Realität: Ich wusste monatelang nicht, wie ich meine Miete zahlen sollte, musste mir zwangsläufig einen Nebenjob suchen und den Plan, freie Zeit zum Schreiben aufzuwenden, wieder einmal an den Nagel hängen.
Aber auch, wenn es sich jetzt paradox anhört – obwohl ich diese Erfahrungen nicht unbedingt noch einmal wiederholen möchte, habe ich dadurch gelernt, dass es immer weitergeht. Egal wie langsam, egal woher, aber wer ernsthaft nach Lösungen sucht, findet sie zwangsläufig auch. Wenn wir ohnehin scheitern müssen und nichts mehr zu verlieren haben, können – und sollten – wir erst recht mit dem scheitern, was wir lieben.
"Trotz all der Herausforderungen bin ich mir sicher: Es lohnt sich, durchzuhalten."
Seit letztem Jahr habe ich meinen eigenen Rat dann auch mal selbst in die Tat umgesetzt und mich dem Schreiben mit einer neuen Intensität gewidmet. Dabei sehe ich Aufträge wie meine Hochschultätigkeit nicht mehr als Priorität, sondern als Unterstützung, um mir das zu ermöglichen, was ich am liebsten tue. Die Ironie daran ist: Ich dachte immer, der eigenen Leidenschaft nachzugehen würde sich nicht anfühlen wie Arbeit. Falsch gedacht, versuch’s nochmal.
Die Geschichte vom Ankommen, immer wieder
Jedes Mal, wenn Bekannte halb scherzhaft, halb neidisch zu mir sagen, das müsse ja ein schönes Leben sein, die Freiheit zu haben, immer zu reisen und sich jeden Tag frei einteilen zu können, dann denke ich mir: Ja, das ist es. Aber es ist auch hart erkämpft. Denn im Gegensatz zum Angestellten-Dasein verdiene ich kein Geld, während ich Urlaub mache oder krank bin. Meine Arbeit habe ich, genau wie meine Existenzängste, auf jeder Reise im Gepäck. Trotzdem, ich würde es nicht anders haben wollen. Weil mir die Freiheit und Selbsterkenntnis jedes Risiko der Welt wert sind.
Auch, wenn es bei unseren Träumen nicht um das Erreichen von Zielen geht, sondern um die Person, zu der wir auf diesem Weg werden, habe ich natürlich trotzdem große Ziele. Wie in jeder guten Geschichte wäre es schließlich langweilig, wenn wir nichts hätten, worauf wir hinarbeiten könnten. Und ich bin bereit, alles zu geben für meine Träume. Denn trotz all der Herausforderungen bin ich mir sicher: Es lohnt sich, durchzuhalten.
Nur diesmal mit einem handfesteren Plan. Und falls auch dieser Plan scheitern sollte, probiere ich mich einfach auf der Suche nach dem perfekten Krokant-Eisbecher durch die Eisdielen und genieße den Sommer.