Anissa Brinkhoff, inwiefern gehören Gefühle und Finanzen zusammen?
Warum haben wir Frauen eigentlich so häufig Angst davor, uns mit unseren Finanzen zu befassen? Warum sehen wir in Finanzthemen den ultimativen Endgegner und scheuen uns davor, uns diesem zu stellen? Anissa Brinkhoff ist Finanz-Journalistin und -Podcasterin und weiß: Finanzen und Gefühle gehören zusammen. Was dahinter steckt, warum der Satz "Altersarmut ist weiblich" bittere Realität ist und warum Frauen häufig ein geringeres finanzielles Selbstbewusstsein haben als Männer, erzählt sie uns im Interview. Dabei steht für Anissa fest: Finanzbildung ist kein Hexenwerk, sondern vielmehr ein Handwerk, das wir alle lernen können.
"Niemand fällt als Finanz-Expertin vom Himmel."
Anissa, erzähl uns von dir: Wer bist du und was machst du?
Ich bin selbstständig als Finanz-Journalistin. Das bin ich nicht, weil ich das Thema Finanzen so wahnsinnig gerne mag oder ich das studiert habe. Vielmehr musste ich erst 30 Jahre alt werden, um festzustellen, dass ich gar keine finanzielle Bildung habe und dass ich überhaupt nicht weiß, was es mit Themen wie Altersvorsorge, Rente oder Börse auf sich hat und was ich mit ihnen machen sollte. Zudem bin ich sehr feministisch unterwegs und musste erfahren: Je mehr man lernt, wie sehr Frauen strukturell diskriminiert werden in finanziellen Fragen, umso wütender wird man. Deswegen habe ich das Finanzen und Frauen zu meinem Thema gemacht und versuche, journalistische Aufklärung zu betreiben und Mut zu machen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ich möchte aber auch Männer und die Politik in die Verantwortung nehmen, damit in diesem Bereich endlich Gleichberechtigung einziehen zu lassen.
Dein Podcast heißt „Finance and Feelings“ – inwiefern gehören Gefühle und Finanzen für dich zusammen?
Ich glaube, für die meisten Frauen fühlt sich der Gedanke an Geld zunächst einmal überhaupt nicht gut an. Das beginnt schon damit, über Geld zu reden, sich damit auseinanderzusetzen oder vielleicht auch einen Blick aufs Konto zu werfen. Wenn ein Thema also eine solch krasse Reaktion hervorruft, ist es also mit vielen Gefühlen verknüpft. Herauszufinden, warum es so verknüpft ist, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen und dass man individuell überhaupt keine Schuld an diesem Zustand hat, finde ich sehr spannend. Es gibt wahnsinnig viel wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema, aber wie so häufig gelangt diese nicht wirklich in die Gesellschaft – genau hier setze ich mit dem Podcast an: Ich möchte aufklären und erklären, warum wir gewisse Geldgefühle haben, woher sie kommen und wie wir mit ihnen umgehen können. Ich muss dazu sagen, dass Finanzplanung sicherlich nicht mein absolutes Lieblingshobby ist, aber inzwischen fühle es sich zumindest nicht mehr vollkommen schrecklich oder belastend an.
Welche Reaktionen begegnen dir auf den Podcast?
Auf der fachlich-sachlichen Ebene begegnen mir häufig Reaktionen à la „Ich wusste gar nicht, dass ich mich damit selbst beschäftigen muss“ oder „Herrje, davon habe ich ja noch nie etwas gehört“. Diese Reaktionen sind oft gepaart mit Panik und Sorge vor Selbstverantwortung. Im Anschluss erkennen die Menschen aber in der Regel, dass sie keine Schuld daran haben, keine Finanzbildung erfahren zu haben. Denn sie wurde ihnen nie vermittelt. Je nachdem, wie die Inhalte aber aufbereitet werden, verstehen die Menschen schnell, dass es sich bei Finanzbildung um ein handwerkliches Werkzeug handelt. Bedeutet: Sie können es lernen. Natürlich sprechen wir hier von einem lebenslangen Prozess, der Schritt für Schritt erlernt wird – niemand fällt als Finanz-Expertin vom Himmel.
Lass uns über den alten Spruch „Über Geld spricht man nicht“ sprechen. Warum ist dieses vermeintliche Credo noch immer in so vielen Köpfen verankert?
Vermutlich müssen wir bezüglich dieser Frage darauf blicken, wie gesellschaftliche Tabuthemen entstehen. In diesem Fall müssen wir also auf Aspekte wie das Wirtschaftswunder oder auch die Nachkriegszeit schauen und uns etwa damit befassen, woher manche Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg plötzlich ihren Reichtum bezogen haben. Bedeutet: Mitunter wurde nicht darüber gesprochen, wie manche Menschen zu ihrem Geld gekommen sind. Somit hat der Satz „Über Geld spricht man nicht“ sicherlich geschichtliche Hintergründe. Dazu kommt, dass, mit Blick auf Deutschland, Reichtum oft nicht sichtbar ist. Wer kennt beispielsweise die Gesichter der „Aldi“-Brüder? Die wirklich reichen Menschen hierzulande leben sehr zurückgezogen – ganz anders als beispielsweise in den USA, wo Reichtum zur Schau gestellt und gefeiert wird. Auf der anderen Seite wird aber auch Armut nicht sichtbar gemacht in Deutschland. Armut wird oft gewissermaßen mit einem „selbst Schuld“ kommentiert. Dabei kann Armut jeden Menschen treffen.
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Warum haben Frauen ein geringeres finanzielles Selbstbewusstsein als Männer?
Zunächst müssen wir hier einen Blick auf die Fakten werfen: Bis in die 1970er-Jahre konnten Ehemänner ihren Frauen verbieten, Lohnarbeit zu betreiben, wenn diese nicht mit ihren ehelichen Pflichten einherging. Ein Konstrukt, das womöglich noch unsere Eltern- oder Großeltern betroffen hat. Bedeutet: Selbst in der eigenen Familie kann im Zweifel gar nicht auf eine Vorbildfunktion von Frauen, die gearbeitet und gelernt haben, mit Geld umzugehen, geblickt werden. Frauen in Westdeutschland durften also wahnsinnig lange überhaupt nicht mit Geld wirtschaften oder ihr eigenes Geld verdienen. Es wäre also beinahe unverschämt, zu verlangen, dass innerhalb von gerade einmal 50 Jahren diese gesellschaftliche Prägung überwunden wird. Während Männer bereits seit unzähligen Generationen ihr Wissen weitergeben, ist Frauen dies erst seit wenigen Jahrzehnten möglich. Dazu muss man sagen: Geld ist Macht, Freiheit, Unabhängigkeit. Wir leben in einem Patriarchat und das Patriarchat möchte nicht, dass Frauen Geld, Macht und Unabhängigkeit haben. Sämtliche Strukturen arbeiten also immer noch dagegen an, auch wenn das im Individuellen natürlich anders sein kann. Mit Blick auf das Hier und Jetzt fehlt es uns zudem häufig an weiblichen Vorbildern sowie an auf Frauen zugeschnittener Finanzbildung. Ist man dann möglicherweise auch noch in einem Haushalt aufgewachsen, in dem – zum einen – nicht über Geld gesprochen und Geld – zum anderen – Männersache war, ist es streng genommen ein Ding der Unmöglichkeit, als Mädchen zu lernen, mit Geld umzugehen und dadurch finanzielles Selbstbewusstsein zu sammeln.
"Zu behaupten, Frauen und Männer hätten in Sachen Geld und Beruf dieselben Chancen, stimmt meiner Meinung nach nicht. Wenn es ums Geldverdienen geht, stehen Frauen häufig 100 Meter hinter den Männern an der Startlinie."
Hat eine Frau finanzielles Selbstbewusstsein, wird ihr dieses häufig aber auch als unsympathisch ausgelegt …
Leider, ja – das muss man erst mal sacken lassen. Studien zeigen, dass Frauen, die mehr Gehalt verhandeln oder grundsätzlich mehr über Geld sprechen, als unsympathisch wahrgenommen werden. Der Grund dafür ist, dass Geld eben mit Macht und Unabhängigkeit konnotiert ist. Sitze ich in einer Gehaltsverhandlung also einem Mann gegenüber, der grundsätzlich eine internalisierte strukturelle Diskriminierung sowie Vorurteile mir gegenüber hat, dann muss ich nicht nur für mich und mein Gehalt kämpfen, sondern darüber hinaus gegen strukturelle Diskriminierung, für die ich als Frau überhaupt nichts kann und die ich alleine nicht ändern kann. Aus genau diesem Grund richtet sich mein Appell an weiße Männer in Deutschland, die erkennen müssen, welche Privilegien sie genießen und welche Strukturen hinter diesen Privilegien stehen. Zu behaupten, Frauen und Männer hätten in Sachen Geld und Beruf dieselben Chancen, stimmt meiner Meinung nach nicht. Wenn es ums Geldverdienen geht, stehen Frauen häufig 100 Meter hinter den Männern an der Startlinie.
Lass uns bei der Schere zwischen männlichen und weiblichen Gehältern bleiben – was machen symbolische Tage wie der Equal Pay Day mit dir?
Grundsätzlich sind Tage wie etwa der Equal Pay Day sehr wichtig, weil sie Sichtbarkeit schaffen und sie medial verbreitet werden. Bringt das etwas? Nein. Denn obwohl unabhängige Studien ernüchternde Zahlen vorlegen, gibt es noch immer Männer, die beispielsweise nicht an den Gender Pay Gap glauben, weil sie davon möglicherweise noch nie gehört oder es eben nicht am eigenen Leib erfahren haben. Hier spielen das Leugnen von Diskriminierung sowie das nicht vorhandene Anerkennen von Privilegien eine große Rolle. Dazu muss gesagt werden: Wir haben in Deutschland ein Anti-Diskriminierungsgesetz, ein Gleichstellungsgesetz und ich persönlich finde es rechtlich schwierig, dass wir trotzdem noch immer in diesem Zustand leben. Wenn ich 16, 17 oder 18 Prozent weniger verdiene als ein Mann bei gleicher Arbeit, kann das rechtlich doch nicht haltbar sein! Müsste sich hier nicht etwas ändern? Ich gehe sogar so weit zu fragen, ob man diese Debatte nicht auf eine juristische Ebene heben sollte. Denn die bloße gesellschaftliche Debatte in Deutschland scheint hier nicht auszureichen. Zum Gender Pay Gap muss zudem gesagt werden, dass es sich hierbei um ein Instrument handelt, das darauf ausgelegt ist, die Welt zu zeigen, wie Männer sie sehen. Das bedeutet: All die unbezahlten Care-Arbeits-Stunden werden darin überhaupt nicht berücksichtigt. Fest steht: In der Zeit, in der man Care-Arbeit leistet, kann man nicht erwerbsarbeiten. Angenommen, wir würden diese Arbeit noch zusätzlich messen – was hätten wir dann nur für einen Gender Pay Gap?! Deswegen finde ich es krass, dass noch immer Messinstrumente verwendet werden, die gewissermaßen aber gar keinen Sinn ergeben.
Du hast von Männern gesprochen, die den Gender Pay Gap leugnen. Begegnen dir bei deiner Arbeit auch Frauen, denen diese finanzielle Schere nicht bewusst ist?
Ja, die begegnen mir auch. Hierbei handelt es sich vor allem um Frauen, die in sehr privilegierten Situationen leben und vermutlich noch nie eine Form der Diskriminierung erlebt haben. Ich beobachte aber auch, dass in diesen Fällen fehlendes Wissen eine besondere Rolle spielt. Dieses fehlende Wissen sollte aber idealerweise durch Bildungsinstitutionen und Familien vermittelt werden. Solange sich also so viele Mitglieder unserer Gesellschaft weigern, zu akzeptieren, dass es diese diskriminierenden Strukturen gibt, ist es vermutlich einfacher, die Fakten zu leugnen, weil es schlichtweg bequemer ist.
"Das Thema Frauen und Finanzen erhält glücklicherweise immer mehr Aufmerksamkeit. Insofern würde ich sagen, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Sie verläuft nur viel zu langsam. Wenn wir so weitermachen mit der finanziellen Bildung in Deutschland, brauchen wir noch zwei, drei Generationen, bis der Satz „Altersarmut ist weiblich“ nicht mehr gilt und bis Partnerschaften, Care- und Erwerbsarbeit fair aufgeteilt sind."
Lass uns über Altersarmut bei Frauen sprechen: Wie begegnen dir Betroffene und wie ordnen sie die Gründe ein, die sie in diese Situation gebracht haben?
Ich beobachte bei Betroffenen definitiv einen gewissen Schockmoment. Wenn es sich etwa um Frauen handelt, die in den 70er- oder 80er-Jahren Kinder aufgezogen haben, muss man sich aber auch fragen, ob man damals selbst das Selbstbewusstsein gehabt hätte, mit dem Partner über Geld zu sprechen. Diese Frauen haben andere Kämpfe ausgefochten für uns und haben andere Rollen eingenommen. Daher sage ich ganz klar, dass hier nicht die Einzelperson Schuld hat an der Situation. Vielmehr muss man hinterfragen, warum Frauen, die Jahrzehnte lang die Care Arbeit übernommen haben, jetzt in Altersarmut leben. Inzwischen gibt es natürlich immer mehr Ausgleichszahlungen, aber faktisch scheinen diese noch nicht zu greifen. Ich persönlich finde die Haltung „Alles liegt in deiner Selbstverantwortung“ nicht richtig – der Staat ist dafür verantwortlich, den Bürger*innen zu vermitteln, um was sie sich selbst kümmern müssen. In Sachen finanzieller Bildung ist da noch Luft nach oben.
Welchen Tipp gibst du Frauen im Rahmen deiner Gespräche am häufigsten?
Es sind tatsächlich zwei Dinge, die ich in Gesprächen immer wieder mit auf den Weg gebe: Erstens: Finanzen sind ein Handwerk. Niemand wird geboren und kann mit Geld umgehen. Wer sich also Kochen oder Yoga beibringen kann, wird sich auch beibringen können, für sich selbst eine Finanzplanung zu erstellen. Und wie beim Kochen oder Yoga können wir Kurse besuchen und uns die Dinge beibringen lassen, die uns nicht wie von selbst zufliegen. Zweitens: Geld ist wichtig. Geld ist niemals nur Geld. Geld ist immer Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Freiheit. Ich konnte beispielsweise früher einen toxischen Job noch innerhalb der Probezeit verlassen, weil ich einen Notgroschen hatte. Oder aus schlimmen Beziehungen gehen, weil ich mich in keiner finanziellen Abhängigkeit befunden habe. Deswegen sage ich immer, dass Geld niemals nur Geld ist.
Mit welchen drei Worten würdest du das finanzielle Ungleichgewicht zwischen Männer und Frauen beschreiben?
Strukturell, geduldet und zukunftsentscheidend. Denn: Das finanzielle Ungleichgewicht ist ein strukturelles Problem, an dem nicht das Individuum Schuld hat. Das finanzielle Ungleichgewicht ist aber auch definitiv geduldet, denn Menschen in Machtpositionen könnten etwas an diesem Zustand ändern. Und das finanzielle Ungleichgewicht ist zukunftsentscheidend, denn wenn man sein Leben lang weniger verdient, sprechen wir von einem zukunftsentscheidenden Zustand. Frauen verdienen durchschnittlich vier Euro weniger in der Stunde. Wenn man das auf eine gesamte Erwerbsbiografie hochrechnet, kann man nicht abstreiten, dass sich dieser Betrag auf die Zukunft der Frau auswirkt.
Blickst du mit deiner Expertise positiv in die Zukunft?
Ja, das Thema Frauen und Finanzen erhält glücklicherweise immer mehr Aufmerksamkeit. Insofern würde ich sagen, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Sie verläuft nur viel zu langsam. Wenn wir so weitermachen mit der finanziellen Bildung in Deutschland, brauchen wir noch zwei, drei Generationen, bis der Satz „Altersarmut ist weiblich“ nicht mehr gilt und bis Partnerschaften, Care- und Erwerbsarbeit fair aufgeteilt sind. Das ist viel zu langsam.
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