Nicole Schlaeppi
Von Sternzeichen und Mülltonnen: Hilfe, ich glaube, ich hatte ein gutes erstes Date
Endlich, ich tue es. Nach fünf Monaten stelle mich dem wohl größten Albtraum aller Mitt-Dreißiger und gehe endlich wieder auf ein erstes Date. Obwohl die Vorstellung, einen neuen Mann kennenzulernen und ihn auf der Stelle zu meiner persönlichen Muse zu ernennen, ganz reizvoll klingt. Kitschige Romanideen und völlig überromantisierte Traumvorstellungen von der Hochzeit am Strand? Count me in! Denn der letzte Mann, der sich anderthalb Jahre lang ohne Hochzeit durch meine kreativen Texte gezogen hat wie fragwürdige Adverbien, hat es ganz ohne klassische Dates geschafft – und wahrscheinlich lag genau da das Problem.
"Ich erkenne ihn sofort: Er ist groß und bärtig wie auf den Fotos. Sympathisch! Zur Begrüßung gibt es ein Lächeln und eine Umarmung. Auch sympathisch."
Zugegeben, ich bin eine Spur zu nervös um mir einzureden, dieses Date habe keinerlei Bedeutung. Oder ist das nur, weil ich vergessen habe, wie das mit dem Dating geht? Oder bin ich vielleicht doch noch nicht bereit für ein neues Date, erst fünf Monate nach der letzten Beziehung? Bevor ich weiter über diese Fragen nachdenken kann, komme ich in der Innenstadt an – mit glänzenden 15 Minuten Verspätung. Die Frage, ob ich es schaffe, mich heute authentisch zu zeigen, hätte sich hiermit dann erübrigt und bringt meinem Dating-Partner immerhin den ersten Pluspunkt ein: Er reagiert entspannt.
Ich erkenne ihn sofort: Er ist groß und bärtig wie auf den Fotos. Sympathisch! Zur Begrüßung gibt es ein Lächeln und eine Umarmung. Auch sympathisch. Das Gespräch ist anfangs noch etwas unsicher, auch er ist nervös, aber sobald wir das Café betreten, um unseren Spaziergangskaffee mitzunehmen, finden wir eine Ebene und reden über – klar, was auch sonst? – Kaffee. Er trinkt schwarz, nur Filterkaffee, den es leider nicht gibt, was ihm aber nichts ausmacht, zum Glück! Erste Feuerprobe bestanden. Nicht auszudenken, wenn er hier eine kleine Szene an den Tag gelegt hätte – für die tägliche Koffeinzufuhr haben Menschen schon Schlimmeres getan.
"Als wäre das nicht genug für ein gelungenes erstes Date, kommt er sogar noch mit mir in die Buchhandlung. Einfach so. Keine Einwände, kein „Ich warte draußen“ – im Gegenteil, er scheint es zu genießen, in den Regalen zu stöbern; hilft mir sogar, eine Neuerscheinung zu finden, nach der ich suchte, und spätestens jetzt bin ich echt beeindruckt, das Sternzeichen Stier völlig in Vergessenheit gerät."
Sternzeichen Tollpatschig
Und dann geht’s los: Mit jedem Schritt lockert sich das Gespräch und auch meine Nervosität, und hach, eigentlich ist es ein bisschen romantisch, dieser kleine Winterspaziergang mit dampfenden Bechern durch die schneebedeckten Straßen. Obwohl wir bereits einiges durch unsere vorigen Sprachnachrichten voneinander wissen, stellen wir trotzdem überraschend viele Gemeinsamkeiten fest. Genau wie ich ist auch er selbstständig (Pluspunkt), mag Konzerte (Pluspunkt), arbeitet viel (kann Plus und Minus sein), will mit dem Kopf durch die Wand uuund ist Sternzeichen Stier; eigentlich ein Minuspunkt (ich bin Zwilling). Aber da will ich mal nicht so sein, es heißt ja schließlich, der Aszendent sei viel wichtiger, also steht da ganz eventuell noch eine kleine Chance in den Sternen geschrieben.
Aber Aszendent hin oder her, ich stelle fest, ich gucke ihn gern an, wenn er redet. Leider gucke ich so viel, dass ich dabei eine Stadtmülltonne anrempele und mich prompt entscheide, während des Gehens vielleicht lieber doch nicht mehr so viel zu gucken, stattdessen zuzuhören.
Und, wer hätte es gedacht? Auch seiner angenehm ruhigen Stimme höre ich gern zu – selbst dann, als er fragt, ob ich mir sicher sei, dass mein Sternzeichen nicht doch „tollpatschig“ ist?
Buchhandlungen, Absolventenhüte und Zeitreisen
Mittlerweile umrunden wir den Stadtkern zum dritten Mal, der Kaffee längst leer, aber das Gespräch noch lange nicht vorbei. Vor vier Jahren habe ich meine Doktorarbeit mit sicherer Festanstellung abgebrochen, um mich selbstständig zu machen, spiele aber immer noch mit dem Gedanken, den Titel irgendwann zu machen, erzähle ich ihm. Er würde auch gern seinen Doktor ergänzend zur Selbstständigkeit machen, antwortet er und prompt machen meine Gedanken einen kleinen Ausflug in die Zukunft – wir beide, vorne im Hörsaal, mit Vintage-Aktentaschen im Partnerlook und Talar auf dem Kopf.
Als wäre das nicht genug für ein gelungenes erstes Date, kommt er sogar noch mit mir in die Buchhandlung. Einfach so. Keine Einwände, kein „Ich warte draußen“ – im Gegenteil, er scheint es zu genießen, in den Regalen zu stöbern; hilft mir sogar, eine Neuerscheinung zu finden, nach der ich suchte, und spätestens jetzt bin ich echt beeindruckt, das Sternzeichen Stier völlig in Vergessenheit gerät. Fast ist es wie das perfekte erste Date einer dieser RomComs, die die Regale um uns herum zieren: Belanglos und leicht, auf eine angenehme Art, fast zu schön, um wahr zu sein– und trotzdem warte ich die ganze Zeit auf diesen einen großen Haken.
Beim Verlassen der Buchhandlung sieht er auf die Uhr. Es könne sein, dass uns gleich seine Eltern mit seinem Sohn begegnen, weil sie nach der Kita mit dem Kind in die City wollten. Das erklärt er mir ganz nebensächlich, was mich wiederum kurz sprachlos lässt. Nicht, weil er einen Sohn hat, das wusste ich. Aber weil es für ihn okay zu sein scheint, mich schon beim ersten Date der Familie vorzustellen, und während ich den Gedanken schätze, hoffe ich inständig, wir mögen ihnen nicht begegnen – bei dem Schock um die Sternzeichen scheint mir das für heute dann doch ein bisschen viel.
Das Ende und ein Anfang – ohne Aszendent
Dann, ohne Vorwarnung, ist er da, der große Haken, der ihm den ersten fetten Minuspunkt einbringt. Irgendwie scheint er verflucht zu sein, sagt er, denn jedes Mal, wenn er im Flugzeug sitzt, passiert etwas Schlimmes. Wie er das meint, frage ich, und verabschiede mich mental schon einmal von Talar und Aktentasche. Naja, sagt er und lässt eine große Kunstpause entstehen, das letzte Mal sei der Blitz ins Flugzeug eingeschlagen, ein anderes Mal hatte jemand während des Fluges einen Herzinfarkt und ein weiteres Mal sei das Flugzeug einfach so zur falschen Destination geflogen.
Für mich klingt das wie der Gipfel aller denkbaren Horrorfilme, und als er deutlich macht, dass er mich damit nicht auf den Arm nimmt, stellt sich die schmerzhafte Erkenntnis ein, dass wir dann wohl separat zu unserer Strandhochzeit in Griechenland anreisen müssen. Das sage ich ihm allerdings noch nicht – ich muss ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Plötzlich bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich noch wissen will, wo sein Aszendent steht.
Wir laufen noch eine Runde, und als ich den Schock etwas verdaut und wir über einige leichtere Themen gesprochen haben, wird es Zeit für die Verabschiedung.
Eine Umarmung in der ich für eine Millisekunde länger verweile, bevor wir uns mit den Worten „Das war schön, wir schreiben“ lösen. Dann dreht er sich um und geht, ich steige ins Auto – und breche in Tränen aus. Vielleicht bedeutet das, dass ich doch noch nicht bereit bin, neu zu daten. Vielleicht bedeutet das auch nur, dass ich überfordert mit der neuen Situation bin. Zurück zu Hause habe ich zwar nicht den Drang, Lyrik zu schreiben, aber immerhin ist dieses Date mir eine Kolumne wert. Vielleicht ist das ein Anfang.