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Nipplegate 2.0: What? Ihr tragt in der Öffentlichkeit keinen BH? Skandal!
Trag einen BH, haben sie gesagt. Er formt deinen Busen und verleiht dir beim Tragen ein Gefühl von Weiblichkeit, haben sie gesagt. Womit wir auch schon mitten im Dilemma wären. Denn machen wir uns nichts vor: Die meisten Frauen empfinden einen BH als schlichtweg unbequem. Einschneidende Träger, ziepende Nähte, pieksende Bügel – den perfekten BH zu finden, der hübsch, schmeichelnd und gleichermaßen angenehm zu tragen ist, grenzt an ein nahezu unmögliches Unterfangen. Doch wo steht eigentlich geschrieben, dass Frauen BHs tragen müssen?
Es war einmal eine Zeit (vor Corona), in der sich unzählige Frauen Tag für Tag einen BH anzogen, um das Haus für Job, Daily-To-Do's & Co. zu verlassen. Dann kam der Lockdown – und damit eine neue gefühlte Zeitrechnung. Denn in Zeiten der Selbstisolation und des Home-Offices wurde der heimische Dresscode gewissermaßen neu definiert und ein Punkt stand dabei ganz oben auf der Haben-Seite: der Gemütlichkeitsfaktor. Kein Wunder also, dass der BH das Erste war, was die meisten Frauen getrost in der Kommode lassen konnten, wenn sie sich morgens etwas anzogen. Nach dem Lockdown kehrten viele Frauen nach und nach wieder zurück in ihr Life-as-usual – und dennoch ließen viele von ihnen den BH trotzdem in der Kommode. Ein Skandal? Nein! Ein Statement? Oh ja!
Vom ungeschriebenen Gesetz, Frauen müssten einen BH tragen
Vorweg sei eines gesagt: Das Phänomen der Frauen, die keinen BH tragen wollen, gab es natürlich auch schon vor der Lockdown-Ära. Doch irgendwie macht es den Anschein, als habe sich die Anti-BH-Bewegung während dieser Zeit neu formiert und ein breiteres Selbstverständnis dafür geschaffen, dass es vollkommen okay ist, auch außerhalb der eigenen vier Wände ohne Büstenhalter herumzulaufen. Denn das ist es! Womit wir aber auch schon wieder bei der Frage wären, wo eigentlich geschrieben steht, als Frau einen BH tragen zu müssen?!
Tatsächlich ist dieses vermeintlich ungeschriebene Gesetz doch eigentlich nichts anderes als eine der vielen Erwartungshaltungen, die an Frauen gestellt wird: Frauen haben Brüste, also müssen sie einen Busenhalter tragen. Punkt. Tun sie das nicht, ist das unangemessen. Immerhin lenken sie durch das Weglassen eines BHs nicht nur Blicke auf sich, sondern vermitteln womöglich auch den Anschein, Freiwild für sexuelle Übergriffe zu sein. So zumindest die Ansicht einiger Männer – und Frauen.
Dass das Tragen oder Nichttragen eines BHs selbst im Jahr 2021 Zündstoff für flammende Diskussionen bildet, ist strenggenommen traurig. Denn eigentlich lässt sich dieses Thema in einem Satz abhaken: Wer einen BH tragen möchte, soll einen tragen; wer keinen BH tragen möchte, soll ihn weglassen. Ich erinnere mich noch daran, wie stolz ich damals war, als meine Mutter mir damals meinen ersten BH kaufte. Streng genommen war dieser mit Blick auf mein damaliges Brustwachstum alles andere als nötig, aber ich wünschte ihn mir – und bekam ihn. Für mich war der erste BH ein wichtiger Schritt in Richtung Erwachsenwerden, Frausein. Mit meinen Freundinnen diskutierte ich damals darüber, ob wir unsere BHs auch über Nacht tragen sollten, um den Busen während seines Wachstums so gut wie möglich zu formen und ihm „Gutes“ zu tun. Auch heute möchte ich meinem Busen noch immer etwas Gutes tun – und lasse, wenn mir danach ist, kurzerhand den BH weg. Auch außerhalb meiner vier Wände.
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Selbst die Dessous-Industrie hat den No-Bra-Trend erkannt
Für mich hat das Weglassen des BHs weniger etwas mit radikalem Feminismus als mit Selbstliebe und dem eigenen Wohlbefinden zu tun – und dafür plädieren auch viele andere Frauen: Denn warum ein zwickendes und unbequemes Kleidungsstück tragen, wenn man es nicht möchte?! Warum die Brüste mit Bügeln und Push-up-Einlagen in eine Form bringen, die nicht nur unnatürlich ist, sondern mit der wir uns schlicht und ergreifend nicht wohl fühlen? Vielen Frauen geht es womöglich gar nicht ausschließlich darum, komplett auf das Tragen eines Büstenhalters zu verzichten: Vielmehr geht es darum, das gängige Bild hochgepushter Boobies, das in vielen Köpfen steckt, zu ersetzen oder neu zu definieren. Die Dessous-Industrie hat dies inzwischen erkannt und bringt neben den gängigen BH-Modellen vermehrt bügellose BHs heraus: Bequemlichkeit statt Sinnlichkeit ist die neue Devise.
Und dennoch: Dass von Frauen erwartet wird, einen BH zu tragen, steckt nach wie vor in den Köpfen vieler Menschen. Eine Frau ohne BH und mit durch sich das T-Shirt abzeichnenden Brustwarzen zu sehen, löst bei vielen blankes Entsetzen aus. Oder den Impuls eines sexuellen Anreizes. Am Ende sollte man aus einer Frau, die keinen BH trägt, nicht mehr machen, als sie ist: nämlich eine Frau, die keinen BH trägt. Ob, wann und was für einen BH eine Frau trägt, sollte ihre und nur ihre Entscheidung sein. Und wer weiß: Vielleicht hat der Lockdown und das dadurch neu gefundene Streben nach Gemütlichkeit vieler Menschen einen kleinen Teil dazu beigetragen, dass genau diese Entscheidung mehr und mehr akzeptiert wird.
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