Kolumne Alleinsein
Unsplash/Annie Spratt

Die Sache mit dem Alleinsein

„Die meisten Menschen verplempern ihre Zeit allein. Wir müssen wieder lernen, allein glücklich zu sein, das Alleinsein genießen.“ Über diese Aussage bin ich letztens auf Instagram gestolpert. Die Vorstellung ist schön, in der Realität aber nicht ganz so einfach.
Zweifellos hat das Alleinsein viele Vorteile, aber es ist gleichzeitig auch verdammt herausfordernd. Und nach fast zehn Jahren allein kann ich sagen: Alleinsein ist nicht immer gleich Alleinsein. Es ist mit vielen widersprüchlichen Gefühlen und Erfahrungen behaftet, und, – ob es glücklich macht oder nicht – es ist vor allem eins: mutig.

"Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber wenn ich allein bin, bin ich eine andere Version von mir selbst als mit Menschen um mich herum. Ich bin dann viel ungefilterter, fühle mich verbundener. Das eine ist nicht weniger authentisch als das andere, aber es ist anders."

Ich war immer gut im Alleinsein. Hach, wie ich es liebe, Spaziergänge in der Natur zu unternehmen und dabei meine Gedanken zwischen Korn- und Maisfeldern schweifen zu lassen. Wie ich es liebe, allein in Cafés zu sitzen, Leute zu beobachten und dann in meiner Schreibwelt zu versinken. Schwimmen im Sommerregen, Lesen im Park, der Morgenkaffee auf dem Balkon, allein verreisen, Gespräche mit fremden Menschen in lokalen Bars – die Liste von Dingen, die das Alleinsein wundervoll machen, ist schier endlos.

In schönen Momenten ist Alleinsein pures Glück …

Sogar im jährlichen Griechenland-Urlaub mit Freunden und Familie verzichte ich täglich auf das gemeinsame Frühstück und stehe freiwillig um 6 Uhr auf, um die ersten Stunden des Tages mit mir selbst zu verbringen. Das Meeresrauschen bei Tagesanbruch für mich allein zu haben, während die Welt um mich herum noch schläft, ist unbeschreiblich. Der Einheimische, der seinerseits die morgendliche Strandrunde macht und mir still zunickt, kennt dieses Gefühl. Es ist wie ein kleines Geheimnis, das uns für einen kurzen Moment verbindet: die Schönheit des Alleinseins.
Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber wenn ich allein bin, bin ich eine andere Version von mir selbst als mit Menschen um mich herum. Ich bin dann viel ungefilterter, fühle mich verbundener. Das eine ist nicht weniger authentisch als das andere, aber es ist anders. Und da gibt es einen großen Teil in mir, der sich immer mehr nach dieser Allein-Version sehnt, weil es da noch so viel kennenzulernen gibt. Vielleicht habe ich deshalb immer dann die schönsten und spannendsten Begegnungen, wenn ich allein bin. Weil ich irgendwie freier bin. Glücklicher, auf eine Art. Es ist ein Gefühl, das süchtig macht.

… und in schlechten Momenten niederschmetternd und deprimierend

Und dann gibt’s die Momente, in denen ich das Alleinsein verfluche. Wenn ich vollbepackt mit meinen Wocheneinkäufen hoch in den 6. Stock laufe, zum Beispiel, und eine der Einkaufstüten Tüte zu Boden fällt und das Spülmittel über das frische Gemüse läuft. Oder wenn ich nach einem Schreibnachmittag im Café allein zurück in meine Wohnung komme. In der niemand ist, der mit mir gemeinsam kocht, den ich nach seinem Tag fragen kann. Oder, der Klassiker, wenn ich auf Geburtstagen zwischen all den Paaren sitze und von meiner Selbstständigkeit und meinen Solo-Reiseplänen erzähle und mich unverstanden fühle, weil sich alles um die Themen Hausbau und den Kinderkriegen dreht. Das sind Momente, die mich schmerzhaft daran erinnern, was ich nicht habe: einen Partner, mit dem ich all diese Dinge gemeinsam machen kann.

Ja, ich kann jederzeit Freunde und Familie anrufen oder besuchen, was ein großes Privileg ist und letztendlich der Grund war, wieso ich nach mehr als zehn Jahren Großstadtleben wieder zurück in meine Heimatstadt und damit in die Nähe meiner Familie gezogen bin. Aber manchmal frage ich mich trotzdem, ob ich diesen Schritt gegangen wäre, wenn ich zum Zeitpunkt der Entscheidung in einer festen Partnerschaft gesteckt hätte. Natürlich kann keine Partnerschaft die Nähe zu Familie und Freunden ersetzen, aber ebenso wenig können Familie und Freunde eine Partnerschaft ersetzen.

Von der Angst vor dem Alleinsein

Obwohl ich weiß, wie gut mir das Alleinsein tut, frage ich mich, wieso ich manchmal so viel Angst davor habe, es auf Dauer zu sein. Aber vielleicht ist es okay, die Vorteile zu kennen, und es trotzdem nicht zu wollen. Ich glaube, ich war so viele Jahre allein – teils selbst gewählt, teils ungewollt – dass ich jetzt einfach genug davon habe. Während ich das Alleinsein auf jeder Ebene voll ausgekostet habe, hat meine letzte Beziehung mich erst wieder daran erinnert, wie schön das Nicht-Alleinsein ist. Wie viel es in einer Partnerschaft zu entdecken gibt, an sich selbst und an der anderen Person. Da ist plötzlich wieder diese Ungeduld, nicht länger warten zu können, keine weitere Minute allein sein zu wollen. Das Bedürfnis, mich komplett in eine Beziehung hineinzugeben, wie ich es vorher mit dem Alleinsein gemacht habe.

Doch das Leben lässt sich nicht steuern. Diese Dinge liegen nicht immer in unseren Händen. Ja, es war in den letzten vier Monaten, seit dem Scheitern meiner letzten Beziehung – oder dem, was daraus hätte werden können – eine Herausforderung, mich wieder ans Alleinsein zu gewöhnen. Wo ich mich doch gerade erst neu an den Gedanken gewöhnt hatte, nicht mehr allein zu sein.

"Und wenn mich dann doch die Traurigkeit überkommt? Dann nehme ich sie mit. Schließlich gehört sie genauso zu mir wie die Version, die allein glücklich ist."

Die Herausforderung besteht nicht darin, allein glücklich zu sein

Aber wenn ich ganz ehrlich bin, kenne ich mich gut genug, um zu wissen, dass ich allein um Längen glücklicher bin als in einer Beziehung, in der es mehr einseitige Kompromisse als Gemeinsamkeiten gibt. Mit dieser Erkenntnis kommen sie dann, die Momente, in denen die Ungeduld sich verzieht, in denen ich in meinem Schreibcafé sitze und nichts mehr genieße, als mit einer Tasse Cappuccino vor der Nase den Gesprächen am Nebentisch zu lauschen.
In denen ich mich auf meinen nächsten Solotrip freue und die Momente bei Sonnenauf- und untergang, auf die Momente ganz für mich.

Und wenn mich dann doch die Traurigkeit überkommt? Dann nehme ich sie mit. Schließlich gehört sie genauso zu mir wie die Version, die allein glücklich ist. Ich glaube, die wahre Herausforderung besteht nicht darin, allein glücklich zu werden. Sondern darin, all das anzunehmen, was gerade ist – oder auch nicht ist. Ist denn das nicht viel mutiger, als uns zum Glücklichsein zu zwingen? Wenn ich jetzt so drüber nachdenke – vielleicht habe ich doch Lust, wieder mit einer Freundin zu verreisen. Aber nur, wenn genügend Raum für das Alleinsein bleibt.

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