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Der Tag, an dem ich begriff, dass „Das ist nur ’ne Phase, demnächst wird’s wieder ruhiger“ niemals eintreten wird

Einer der Sätze, die ich seit meiner Selbstständigkeit am häufigsten von mir gebe, ist – neben "Ich muss Buchhaltung machen" – der glorreiche Satz "Das ist gerade nur eine chaotische Phase, demnächst wird es sicher wieder ruhiger". Vor gar nicht allzu langer Zeit, und damit wären wir auch schon directamente mitten im Thema, ist mir allerdings bewusst geworden, dass besagter Satz vollkommen an den Haaren herbeigezogen ist. Lange habe ich den Satz (oder sollte ich lieber Floskel sagen?) gegenüber Freunde:innen und Familienmitgliedern nämlich beinahe inflationär rausgehauen, um zu vermeiden, dass sie sich mit Blick auf mein Arbeitspensum und meinen zugegebenermaßen stressigen Lifestyle Sorgen um mich machen. Doch eines schönen Tages musste ich mir wohl oder übel eingestehen, dass ich womöglich versucht habe, mir selbst ein wenig etwas vorzumachen. Denn an eben diesem Tag habe ich begriffen: Bei dem, was ich selbst als "chaotische Phase" abstemple, handelt es sich schlicht und ergreifend um mein Leben …

Ich war nie der Typ für feste und sich brav wiederholende Abläufe. Vermutlich war das einer der Gründe, warum ich mich irgendwann auch nicht mehr in einer 9-5-Festanstellung gesehen habe. Tatsächlich bin ich ein Mensch, der Stress braucht und mag. Deadlines im Nacken lassen mich in der Regel zur Höchstform auffahren. Und doch blicke ich manchmal auf einen vermeintlich normalen Tag in meinem Leben zurück und muss schmunzeln, weil eben dieser Tag schon wieder an mir vorbeigebraust ist. Leider jedoch ohne alle Häkchen auf meiner To-Do-Liste setzen zu können – womit wir auch schon beim Thema wären.

Wenn das Leben vor der Tür steht und "Hallo, ich bin auch noch da" ruft

Denn mein Alltag und meine To-Do-Liste befinden sich in einer Art Dauer-Challenge mit- und gegeneinander. Und ich? Bin mittendrin und weiß manchmal gar nicht, wo mir der Kopf steht. Zwischendurch klingelt dann noch ununterbrochen das Telefon, wie aus dem Nichts winken mir Dutzende ungelesene Emails aus dem Postfach zu, die Wäsche in der Maschine wartet schon seit gestern darauf, aufgehangen zu werden und wann komme ich eigentlich dazu, Abendessen zu kochen? Diese Frage könnte ich vermutlich beantworten, wenn ich es zuvor zumindest in den Supermarkt um die Ecke geschafft hätte. Habe ich aber nicht. Weil ein spontaner Termin mit dem Steuerberater anstand, weil eine Deadline vorgezogen wurde, weil es plötzlich an der Tür klopfte und das Leben davor stand.

Kurzum: Es ist nicht nur mein Work-Life, das sich hier und da überschlägt und mir drunter-und-drüber-Tage beschert. Nein, es ist das Leben, was nur zu gerne in einen vermeintlich durchorganisierten Tag reingrätscht – und genau das können sicherlich viele nachvollziehen. Damit mich niemand falsch versteht: Ich will nicht jammern, ganz im Gegenteil. Ich liebe mein Leben, so wie es ist – immerhin habe ich mir genau diese Work-Life-not-Balance ausgesucht. Und doch ertappe ich mich ab und zu dabei, wie ich mich rechtfertige. Vor meiner Familie, vor meinen Freunden und vor mir selbst. Weil die Nacht mal wieder kurzerhand zum Arbeiten umfunktioniert wurde. Weil ich es wieder nicht auf einen Kaffee mit der Freundin geschafft habe. Weil ich gefühlt nichts geschafft habe, da das Leben "Hallo, ich bin auch noch da" geschrien hat.

"Mein Leben ist, allen doppelten Saltos und Überschlägen zum Trotz wunderbar, so wie es ist. Und genau so habe ich es mir immerhin auch ausgesucht. Und jetzt mal ehrlich: Privilegierter geht es nun wirklich nicht"

Wüsste ich es manchmal nicht besser, würde ich denken, ich sei eine Jägerin. Weil ich nicht selten den lieben langen Tag Deadlines, Terminen und Co. hinterherjage. An anderen Tagen macht es den Eindruck, ich sei im Tierschutz tätig. Weil ich Stunde um Stunde damit verbringe, Kühe vom sprichwörtlichen Eis zu holen. Und dann gibt es Tage, an denen ich auch eine ziemlich gute Figur als Zirkusartistin machen würde, denn ich überschlage mich nahezu im doppelten Flikflak, wenn es darum geht, alle Themen, Gedanken und To-Do's unter einen Hut zu bekommen. Und auch wenn ich manchmal ganz schön aus der Puste bin, bin ich dankbar für dieses selbstbestimmte Leben, das ich führen darf.

Ob es in genau diesem Leben jemals ruhiger werden wird? Ich weiß es nicht. Aber will ich das denn überhaupt? Vermutlich nicht. Denn mein Leben ist, allen doppelten Saltos und Überschlägen zum Trotz wunderbar, so wie es ist. Und genau so habe ich es mir immerhin auch ausgesucht. Und jetzt mal ehrlich: Privilegierter geht es nun wirklich nicht. Dennoch wird es sicher hin und wieder passieren, dass ich meinen Lieben auch mal wieder ruhigere Phasen verspreche – allein, um mich selbst daran zu erinnern, mir ab und zu auch mal einen Moment zum Durchschnaufen zu gönnen.

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