Kolumne Vom Loslassen
unsplash/Anca Gabriela Zosin

Vom Loslassen oder: Lasst das Leben doch mal mitreden!

Als ich vielleicht 14 Jahre alt war habe ich das erste Mal Ideen übers Erwachsensein entwickelt. Ich freute mich auf den Auszug von Zuhause und habe in Gedanken meine erste eigene Wohnung eingerichtet. Es war eine Stadtwohnung, daran erinnere ich mich noch. Sie war nicht groß, sie war dezent möbliert, sie war nur meins und sie strahlte eine gewisse Ruhe aus. In der Nähe lag das Meer, ich hörte Möwen und ein Fischbrötchen war nie weit.

"23 Jahre später sitze ich auf meinem pinken Flohmarkt-Sessel und bin sehr zufrieden. Ich habe eine Tochter, ihren Vater nicht zum Mann, kein gebrauchtes Haus und das Meer ist auch nur ein großer See geworden, über den tatsächlich aber ein paar Möwen kreisen …"

Darauf folgte ein Architekturstudium, natürlich ein attraktiver Mann, mit dem ich vier Kinder bekam und ein Haus erwarb. In Gedanken. Wir haben nicht neu gebaut, sondern gebraucht gekauft. Und wir hatten keine Haustiere, das war nicht so meins. Ich fand die Vorstellung weder spießig, noch klassisch. Sie war einfach da. Für mich war absolut klar, dass mein Mann und ich die vier Kindern gleichberechtigt großziehen und gleichberechtigt arbeiten werden. Das Haus würde laut werden! Voller Menschen, die ein und aus gehen. Und auch wir, wir würden ebenfalls ein und aus gehen in dieses Haus. Manchmal gleichzeitig als Paar, mal verliebt, mal streitend, mal muss dringend einer alleine raus und der andere genießt alleine drinnen. Liebe, Baby!

"Ich habe das Glück, dass ich mit einer gewissen Demut und Dankbarkeit ausgestattet wurde – und einer Prise Humor. Das macht es leichter, die schweren Tage zu nehmen und es hilft, alternative Wege zu sehen, die trotzdem glücklich machen"

23 Jahre später sitze ich auf meinem pinken Flohmarkt-Sessel und bin sehr zufrieden. Ich habe eine Tochter, ihren Vater nicht zum Mann, kein gebrauchtes Haus und das Meer ist auch nur ein großer See geworden, über den tatsächlich aber ein paar Möwen kreisen … Ich schließe nicht aus, dass noch ein paar attraktive Kinder dazu kommen oder vier Männer. Meine Tochter wünscht sich einen Hasen und die Wohnung ist immer voller Leute.

Es ist also ein bisschen anders gekommen als ich in meinen jungen Jahren dachte. Ich bin an einem anderen Ort gelandet und ich bin einen ganz anderen Weg dorthin gegangen. Es gab wunderschöne Tage und es gab wirklich schwere Tage, die ich so nicht erwartet hätte. Manche Steine habe ich mir selber in der Weg gelegt, andere erfolgreich zur Seite geräumt und einige befinden sich immer noch in meinem Rucksack. Ich habe das Glück, dass ich mit einer gewissen Demut und Dankbarkeit ausgestattet wurde – und einer Prise Humor. Das macht es leichter, die schweren Tage zu nehmen und es hilft, alternative Wege zu sehen, die trotzdem glücklich machen.

Wenn ich früher dort angekommen wäre, wo ich hin wollte, wäre ich jetzt wohl schon wieder woanders

Es gibt Tage, an denen ich überhaupt nicht verstehe, warum ich dort bin, wo ich bin und warum sich manches so kompliziert anfühlt. Aber dann gibt es diese Minuten, in denen du einfach nur staubsaugst oder Blumen gießt und vor dich hin träumst … Und dann kommt es dir: Ich hatte damals vielleicht eine Vorstellung von meinem Leben – aber nur ein vages, junges Gefühl für mich selbst. So hat es sich in den vergangenen Jahren manchmal angefühlt: dass mich die vielen kleinen Entscheidungen mal viel weiter weg und mal nur ein kleines bisschen näher ran gebracht haben an mein Glück, mein Erwachsenwerden und ein Ankommen in meinem Leben. Im Rückblick muss ich aber sagen, hat jede vermeintlich falsche Entscheidung sehr gut zu mir gepasst und war vielleicht sogar viel besser als die richtige. Und wenn ich früher dort angekommen wäre, wo ich hin wollte, wäre ich jetzt wohl schon wieder woanders.

"Vielleicht passt ein Kind auch ganz gut zu mir statt vier? Vielleicht trinke ich meinen Kaffee morgens ganz gerne alleine? Vielleicht genieße ich die Freiheit auf meinem leichten, pinken Sessel aus Como?"

All diese Wege und Steine und falsche und richtige Bauchgefühle haben aber letztlich dazu geführt, dass ich jetzt hier und heute doch noch „angekommen“ bin. Und zwar nicht an einem Ort, in einem Haus oder mit einem Mann. Sondern mit mir. In keiner vagen, jungen Vorstellung, die geprägt ist von außen, sondern in einer recht fundierten Version von mir selbst. Aber soll ich euch was sagen? Ich hatte recht mit 14. Ich habe damals nicht in Frage gestellt, dass es Gleichberechtigung gibt und Feminismus und Frauen-Bande und mein Mann und ich ein ehrliches, cooles Paar werden. Und ich tue das auch heute nicht. Mein vages, junges Gefühl lag für mich persönlich richtig – nur dass ich heute weiß, dass es noch viel mehr gibt als das, und dass man manchmal viel härter arbeiten muss für sein Glück. Keine Gleichberechtigung zum Beispiel, keine Frauen-Bande, Beziehungen, die gar nicht so einfach zu führen sind oder keine Fischbrötchen um die Ecke … Aber eben auch viel, viel mehr als ich geträumt hatte: den Blick vom Berg aus in die Ferne, auf einem ruhigen See zu paddeln, fremde Sprachen zu sprechen und andere Sichtweisen aufs Leben zu hören, Würstchen vom Lagerfeuer statt Matjes und viele Männer, die genauso denken wie ich …

Aber ich reflektiere inzwischen anders, losgelöster und ehrlicher über mich: Vielleicht passt ein Kind auch ganz gut zu mir statt vier? Vielleicht trinke ich meinen Kaffee morgens ganz gerne alleine? Vielleicht genieße ich die Freiheit auf meinem leichten, pinken Sessel aus Como? Und ganz sicher zählen Frauen-Bande und meine Männer-Freundschaften genauso viel wie die Liebe zu dem einen Mann – Hühnersuppe eben. Ich bin richtig froh, dass die falschen Entscheidungen in meinem richtigen Leben ein Stück mitreden durften und es anders gekommen ist als ich dachte und ich bin gespannt, was in den nächsten Jahren folgt …

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