Trivialliteratur
Unsplash/Héctor J. Rivas

Von Jane Austen bis Rebecca Yarros: Wir brauchen mehr Trivialliteratur!

Wenn’s ums Lesen geht, habe ich zwei Seiten - okay, natürlich habe ich viel mehr Seiten (ich bin schließlich Sternzeichen Zwilling), aber für den Zweck dieses Textes konzentriere ich mich auf folgende zwei: Da ist die eine Seite, die komplexe Bücher liebt, psychologische Ratgeber und Sachbücher verschlingt, wissbegierig, immer Neues lernen will. Die liiieeebt intellektuelle Gespräche und legt so viel Wert auf Anspruch beim Lesen, dass sie sogar mal zwei Jahre lang die Print-Version von The Economist abonniert hat - nicht etwa, weil sie den so gern liest, sondern weil sie damit vor allem das aus gestandenen Professoren bestehende Kollegium beeindrucken konnte (und das eigene Ego pushen).

Darf ich vorstellen; Tom Ripley, die rationale Seite in mir.

Dann gibt es die andere Seite: Die, die so tief fühlt und erlebt, dass ihr nicht nur Anspruch egal ist, sondern auch jedes Fünkchen Selbstbestimmtheit und Feminismus aus ihren Zellen entweicht, sobald sie auf Geschichten mit einigermaßen hübschen, starken Protagonisten stößt. Diese Seite will lesen, um dahinzuschmelzen, sich mit-verlieben, lachen und weinen und Hoffnung schöpfen – kurz: Diese Seite liest, um zu erleben. 
Und dabei ist ihr mehr als egal, welche mühsam aufgebauten, von Literaturkritikern gefeierten und Nobelpreis-nominierten Bücher sie achtlos umwälzt auf der Suche nach – naja, allem anderen.
Das ist die Schriftstellerin in mir; die Bridget Jones, die Emotionale, die Träumerin, die nichts weiter will als Romantik. Und Schokolade.

All das wäre okay, wenn die beiden Seiten friedlich co-existieren könnten, was mittlerweile sogar ganz gut gelingt. Aber das war nicht immer so – und auch heute gibt es Momente, in denen meinem arroganten, inneren Tom Ripley alles unterhalb seines Anspruchs irgendwie ziemlich unangenehm ist. Fühlen? Wie peinlich. Lieber nicht, danke! Könnte ja jemand merken, dass ich nicht den ganzen lieben langen Tag wissenschaftlich wertvolle Gedanken habe … während meine innere Bridget Jones mit etwa einem Kilo Schokolade im Flamingo-Pyjama mit Weinflecken auf der Couch lümmelt und mit vollem Mund nuschelt: ‚Gib mir irgendwas! EGAL - Hauptsache sexy!’

Also hören wir auf damit, anderen das mies zu machen, was gut tut, denn auch nicht jedes Buch oder jeder Film muss uns aus der Realität helfen. Es braucht nicht immer einen schlimmen Grund im Alltagsleben, um uns in heile-Welt-Romane oder Smut-Bücher oder Fantasy verziehen zu wollen. 
Manchmal reicht der Grund, dass wir uns – oder einen Teil von uns selbst – in einer der Romanfiguren erkennen.

Wir lesen für die Augen anderer

Wenn ich mich manchmal so umgucke – auf Parties, bei Instagram – dann beschleicht mich so ein Gefühl, dass diese zwei Seiten nicht nur in mir miteinander ringen, sondern auch in anderen. Und wenn ich es dank des Blicks auf die Trends am Buchmarkt nicht besser wüsste, könnte man fast glauben, die ganze Welt liest nur anspruchsvolles Zeug und bildet sich in einer Tour durch Bücher weiter. Alles, was in die Kamera gehalten wird oder sich zum Gesprächsstoff mausert, muss auf irgendeine Art psychologischen, feministischen oder wissenschaftlichen Gehalt vorweisen.
Fitzek? Pff, viel zu einfach im Stil. Bücher, die einfach nur schön aussehen? Pah! Never! Fourth Wing? Ist doch nur was für Teenies! Erotikromane? Schämt euch, sowas zu lesen – und dann auch noch öffentlich zu zeigen. Wir lesen nicht mehr für uns selbst, sondern für den Blick anderer.

Eine weitere Beobachtung: Sobald wir uns dann doch mal zu leichterer Literatur bekennen, 
dann meist so: „Ich brauchte in diesen dunklen Zeiten mal leichtes!“
„Eigentlich lese ich sowas nicht, aber ich musste mal was ohne Anspruch.“
„Das ist zwar jetzt Trivialliteratur, aber für zwischendurch voll okay!“
Ist das nicht verrückt? Diese Rechtfertigung entsteht natürlich nur, weil irgendjemand irgendwann der Auffassung war, es sei nicht feministisch, wenn sich die Geschichte nur um eine den Mann anschmachtende Frau geht, deren größtes Ziel Hochzeit ist – oder richtig guter Sex. Weil es nicht als zeitgemäß und als verantwortlich genug gilt, Geschichten zu lieben, in denen wir nicht mit den klima- und gesellschaftstechnischen Problemen unserer Zeit konfrontiert werden. Alles muss, muss, muss durchdacht sein, den Zeitgeist treffen, zum kritischen Denken anregen. Und wir alle haben unsere Welt danach ausgerichtet. Nicht, dass wir uns falsch verstehen – ich LIEBE kritisches Denken, ich liebe komplexe Bücher, und auch ich habe schon oft zu auf Social Media gehypten Romanen gegriffen, die ich am liebsten direkt wieder aus dem Fenster geschleudert hätte, weil sie mich so enttäuscht haben. Aber das ist keine Frage von trivial oder nicht trivial. Das ist einfach persönlicher Geschmack. Wieso verfallen wir so oft in ein kollektives Entweder-Oder?

Jane Austen und Fitzgerald sind trivial

Diese Einteilung in anspruchsvoll und trivial und die Abwertung gegenüber bestimmter Genres und Geschichten gab es natürlich schon immer, in jedem kreativen Bereich. Und jetzt ist einfach mal Zeit fürs Gegenteil. Selbst die Werke von Jane Austen und Scott F. Fitzgerald galten damals zu ihren Zeiten als anspruchslose Popkultur, und heute sehen wir deren Werke als Hochliteratur. Das zeigt, was ich schon vor vielen Jahren im Literaturstudium gelernt, aber erst jetzt so richtig verstanden habe: Bewertung von Literatur und Kreativität findet immer nur im Auge des Betrachters zum jeweiligen Zeitgeist statt.
Also hören wir auf damit, anderen das mies zu machen, was gut tut, denn auch nicht jedes Buch oder jeder Film muss uns aus der Realität helfen. Es braucht nicht immer einen schlimmen Grund im Alltagsleben, um uns in heile-Welt-Romane oder Smut-Bücher oder Fantasy verziehen zu wollen. 
Manchmal reicht der Grund, dass wir uns – oder einen Teil von uns selbst – in einer der Romanfiguren erkennen. Dass uns der erste oder zweite Satz zum Lachen bringt. Oder eben, wie in meinem Fall, echt heiße Protagonisten (yes, Xaden Riorson, looking at you). Und ist das denn nicht eine der höchsten Formen von Empowerment? Empowerment, das zu lesen, was wir wollen.
Uns besonders als Frauen nicht dafür zu entschuldigen oder rechtfertigen, der reinen Freude – und pleasure – zu folgen; und sie schon gar nicht zur ‚guilty pleasure‘ zu machen.
Die Welt braucht mehr Menschen, die glücklich sind. Viel mehr. Und wenn Trivialliteratur, Romantasy und der tiefste Smut zum Glücklich sein beiträgt, dann ist es vielleicht Zeit,
Tom Ripley‘s schlaue Brille über Bord zu werfen.

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