Wenn du einen Wunsch frei hättest – was Spotify Wrapped, Kim Kardashian & Elon Musk auf meiner Wunschliste machen
Liebe, Erfolg, Gesundheit, Geld. So lauten die häufigsten Antworten, die ich in Onlineforen und im Freundeskreis auf die „Wenn du einen persönlichen Wunsch frei hättest“-Frage bekommen habe. Die Antworten sind so erwartbar wie unterschiedlich zugleich und haben mich doch überrascht. Denn je länger ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich sagen, was die eine Sache ist, die ich der Wunschfee übergeben würde. Und brauche ich dazu überhaupt eine Wunschfee?
"Hat denn hier niemand „Aladdin“ gesehen oder die unzähligen Geschichten gelesen, die uns davor warnen, was passiert, wenn wir es mit den Wünschen übertreiben und so unseren eigenen Untergang herbeizaubern?"
‚Babe1238‘ wünscht sich den besten Sex ihres Lebens, während andere, hauptsächlich männliche User, die wohl cleverste Antwort parat haben: Sie wünschen sich mit diesem freien Wunsch einfach eine unendliche Anzahl an Wünschen! Ha, ausgetrickst! Na, liebe Wunschfee, was sagst du jetzt?
Zweifellos wird sich die Wunschfee mit Begeisterung zu Diensten melden, aber mich persönlich reizt die Aussicht auf unendlich viele Wünsche keinen Millimeter. Hat denn hier niemand „Aladdin“ gesehen oder die unzähligen Geschichten gelesen, die uns davor warnen, was passiert, wenn wir es mit den Wünschen übertreiben und so unseren eigenen Untergang herbeizaubern?
Dabei entstammt meine fehlende Begeisterung nicht unbedingt dem Mangel an Wünschen – im Gegenteil, meine Liste ist lang: mehr Selbstdisziplin, bessere Fitness, ein Spotify Wrapped, das mich zur Abwechslung auch mal cool aussehen lässt, eine größere Wohnung mit einer eigenen Bibliothek, die selbst Belle vor Neid erblassen lassen würde; ein persönlicher Koch, das Selbstbewusstsein von Kim Kardashian (wenn wir schon denselben Vornamen tragen) und genug Geld, um Elon Musk Twitter (X) abzukaufen und trotzdem noch die Hälfte des Jahres in einem Feriendomizil am Meer verbringen zu können. Achso, dann gibt es natürlich noch die Klassiker wie den Wunsch von der erfüllten Beziehung oder dem großen, internationalen Erfolg als Autorin, der dem von Stephen King nahekommt. Es ist ja nicht so, als hätte ich nicht versucht, die Erfüllung all dieser Wünsche in meinem Leben zu manifestieren. Ein Prozess, der, needless to say, völlig anders abgelaufen ist als gewünscht.
Hilfe – ich hab mir die Buchhaltung herbeigewünscht
Immerhin gibt es eine Sache, die sich erfüllt hat. Vor einigen Jahren auf einem Geburtstag brach ich bei der Aussage einer fremden Frau, sie würde in der Buchhaltung arbeiten, in Begeisterungsstürme aus: „Oh, wie schön! Das würde ich ja auch so gern machen, am liebsten neben dem Schreiben. Total romantisch.“ Was mir – und meiner Gesprächspartnerin – allerdings fehlte, war die klitzekleine Information, dass mein Hirn das Wort „Buchhaltung“ mit „Buchhandlung“ verwechselt hatte. Aber, Verwechslung hin oder her, die Wunschfee war an diesem Abend definitiv mit gespitzten Ohren und geschwungenem Zauberstab anwesend. Denn mit dem Einstieg in die Selbstständigkeit bekam ich einige Monate den Job in der Buchhaltung – meiner eigenen. Dass ich diesen Teil meiner Arbeit bis heute nicht leiden kann, scheint mir für den Zweck dieser Geschichte erstmal irrelevant – denn die Moral ist, dass sich manchmal sogar mehr für uns erfüllt, als uns lieb wäre. Rückblickend hätte ich mir an jenem Abend vielleicht doch etwas anderes wünschen sollen – aber nun. Nicht alles kommt, wie wir es uns vorstellen, was mich zurück zum Thema bringt.
"Hätte ich meinen fertigen Roman oder einen der anderen Wünsche einfach so geschenkt bekommen, würde ich es heute nicht wertschätzen."
Der Wunsch nach unerfüllten Wünschen
Interessanterweise waren es die unerfüllten Wünsche, die mich ein Stück mehr zu mir selbst geführt haben – weil sie mir zeigten, wie es nicht funktioniert und weil ich gezwungen war, neue Wege zu finden. Wie sagt man so schön? Der Prozess ist es, der den Charakter formt, nicht das Endziel selbst.
Als ich vor einigen Monaten um 6 Uhr morgens nach durchwachten Nächten endlich mein Roman-Manuskript ins Lektorat geschickt habe, gab es kein Hochgefühl. Stattdessen bin ich in Tränen ausgebrochen – vor Erschöpfung, Erleichterung und Verzweiflung. Weil ich nach den letzten Jahren dachte, diesen Meilenstein würde ich nie erreichen. Und weil ich wusste, dass der Weg, der noch vor mir lag, lang und steinig sein würde. Aber in diesem Moment wusste ich auch so klar wie nie zuvor: Ich bin bereit, ihn zu gehen – egal, was kommt. Das haben mir die Monate vor der Abgabe gezeigt, in denen so ziemlich alles außerplanmäßig lief und ich trotz körperlicher und mentaler Erschöpfung Wege gefunden habe, an dem zu arbeiten, was mir wichtig ist. Dafür nehme ich sogar meine eigene Buchhaltung in Kauf.
Träume, Selbstverantwortung und Sex
Hätte ich meinen fertigen Roman oder einen der anderen Wünsche einfach so geschenkt bekommen, würde ich es heute nicht wertschätzen. Zumindest nicht so, wie ich es jetzt tue, nachdem diese Dinge durch mein System gelaufen sind, ein Teil von mir geworden ist. Ich hätte die Erfahrung verpasst, daraus zu lernen. Träume und Wünsche sind wichtig, ich glaube, die brauchen wir alle, damit wir uns überhaupt bewegen, auf etwas hinarbeiten.
Aber ich will meine Wünsche nicht ohne Weiteres erfüllen lassen, weil ich mir mein Leben selbst erarbeiten und aufbauen möchte.
Der Erfolg oder die Erfüllung unserer Wünsche ist ohnehin nie garantiert. Deshalb macht das Erforschen der verschiedenen Wege und Möglichkeiten die ganze Sache doch erst richtig interessant. Um ehrlich zu sein, glaube ich sowieso, dass mir die größten Wünsche bereits erfüllt wurden, denn die Menschen, die ich liebe, sind alle gesund an meiner Seite. Das ist schon mehr, als ich mir wünschen könnte und dafür kann ich mich unglaublich glücklich schätzen.
Obwohl, falls die Wunschfee wirklich darauf besteht, dann würde ich wohl dem Beispiel von Babe1238 folgen und mir den besten Sex überhaupt wünschen – was mir, je mehr ich drüber nachdenke, die cleverste Lösung zu sein scheint. Denn auch falls wir den besten Sex schon hinter uns haben – es gibt weitaus Schlimmeres, als den zu wiederholen.