Vom Versuch sich gleichberechtigt zu trennen

Entschuldigung, aber muss das so kompliziert sein? Vom Versuch, sich gleichberechtigt zu trennen

Heute Morgen hatte ich ein bisschen Zeit durch meinen Instagram-Account zu scrollen und den Kaffee sogar noch richtig heiß zu trinken, als mich Anne Dittmann mitten ins Mark trifft und dicke Krokodilstränen rollen. Vieles von dem, was Anne Dittmann in ihrem Interview beschreibt, kann ich nur allzu gut nachvollziehen. Aber warum? Mein Ex-Partner und ich wollen es doch gut machen.

"Übernahm mein Ex mehr als 24 Stunden Kinderbetreuung seiner eigenen Tochter, bekam er überschwängliches Lob von seinen Eltern. Verhandelte ich mehr Gehalt bei meinem Arbeitgeber, musste ich mir Sätze anhören wie 'Dein Ex-Partner hat aber doch einen gut bezahlten Job.'“

Ein augenzwinkernder Hinweis vorweg: Ich kann nur allen Eltern raten, sich einmal zu trennen. Dieser ehrliche Blick auf die alltägliche Organisation und vor allem auch auf die reale finanzielle Situation tut jeder Familie gut – er wird an vielen Stellen schmerzen, aber er wird euch fit machen für eine gleichberechtigt aufgestellte Familie, finde ich. Sollen wir uns trennen, Baby? Nein, aber wir könnten.

Unsere Tochter war gerade mal zwei Jahre alt und meine Mutter kurz zuvor an einer Krebserkrankung gestorben. Als dann noch unsere Trennung im Raum stand, ertappte ich mich bei dem Gedanken an einen 1A-Nervenzusammenbruch. Damals saß ich heulend in unserem Wohnzimmer, während mein Ex-Partner zwei Räume weiter seine Koffer packte. Unsere Tochter spielte unbedarft in ihrem Kinderzimmer und ich dachte, alleinerziehend werde ich nicht, vergesst es! Also suchte sich jeder eine eigene Wohnung und wir gemeinsam nach einem Weg, sich als Eltern gleichberechtigt zu trennen. Und das war gar nicht so einfach! Übernahm mein Ex mehr als 24 Stunden Kinderbetreuung seiner eigenen Tochter, bekam er überschwängliches Lob von seinen Eltern. Verhandelte ich mehr Gehalt bei meinem Arbeitgeber, musste ich mir Sätze anhören wie „Dein Ex-Partner hat aber doch einen gut bezahlten Job.“ Wir hatten Glück bei der Wohnungssuche, wir hatten Glück, es finanziell einigermaßen hinzubekommen und wir haben hier in Zürich Glück mit der Kinderbetreuung. Aber neben der ja sowieso schon ziemlich strengen emotionalen, finanziellen und organisatorischen Belastung als getrennt lebende Eltern, schien unser gleichberechtigtes Modell immer wieder auf veraltete Denkmuster zu stoßen – auch in unseren eigenen Köpfen. Und uns fehlten definitiv gute Vorbilder!

Moment mal, das ist ja eine Familie, oder?

Aber wie läuft das so und was heißt bei uns eigentlich gleichberechtigt? Wir hatten Glück, dass wir nichts hatten. Kein gemeinsames Vermögen, ein paar studentische Möbel und ich glaube, das Einzige, um das wir wirklich stritten, war ein gusseiserner Kochtopf aus dem Sauerland. Wir fühlten uns mit Anfang dreißig noch ein bisschen wie junge Eltern, engagierte Architekt:innen und waren neugierig genug aufs Leben, es auch getrennt gut machen zu wollen. Wir arbeiten inzwischen beide zwischen 70 und 80 Stellenprozent bei unseren Arbeitgebern, finanzieren uns jeweils alleine und unsere Tochter gemeinsam. Wer wem jeweils einen Ausgleich zahlen muss, berechnen wir je nach Stellenprozent, Betreuungszeit und aktueller Belastung. Und das verhandeln wir alle paar Monate neu, damit sich unser Modell den Bedürfnissen unserer Tochter und auch uns anpassen kann. Es ist ein Learning by doing. Mal versuchen wir, nicht vor unserer Tochter zu streiten, obwohl es brodelt, mal berechnen wir unsere Lebenshaltungskosten bei einem Glas Wein und kommen, egal wie gut wir es miteinander meinen, auf keinen gleichberechtigten Nenner. Mal fahren wir sogar als Familie in den Urlaub, mal kehren wir erholt zurück, mal schweigend. Letzte Woche saß ich heulend in einem Berg dreckiger Wäsche, mein Ex-Partner schnappte sich einen großen Ikea-Sack und ich bekam zwei Tage später flauschige, gefaltete Handtücher zurück. Wir kommunizieren bis heute viel und wir bleiben immer ansprechbar füreinander und für die Sorgen und Wünsche des anderen. An einigen Tagen teilen wir den Alltag unserer Tochter mit einem flinken Foto an den jeweils abwesenden Elternteil und all ihre Meilensteinen versuchen wir gemeinsam zu erleben. Vier Jahre nach der Trennung kann ich sagen: Wir sind eine Familie geblieben. Und darauf sind wir richtig stolz. Gelegentlich drehe ich mich sogar im Freundeskreis um und denke, mein Ex und ich sind hier irgendwie eines der coolsten Teams. Wir haben so viel Auseinandersetzung (ja, hier flogen und fliegen auch die Fetzen!) und Ehrlichkeit hinter uns und zwischendurch sogar einen guten Humor (den wir früher selten miteinander hatten). Wann wird es aber kompliziert? Ich glaube, wenn einer von uns datet. Dann kann es schon mal sein, dass ich meine beste Freundin anrufe und ihr erzähle, dass mein Neuer ja gar nicht zu meinem Alten passt. Dann lachen wir laut, aber ein Funken Wahrheit ist schon dran: Der oder die Neue muss natürlich auch zur Familie passen.

Finanziell können wir uns die Trennung gar nicht leisten!

Der Vater meiner Tochter und ich tragen die finanzielle und organisatorische Belastung in einigen Bereichen gemeinsam, aber in vielem schlichtweg doppelt. Wir kaufen nicht immer zwei Paar Gummistiefel, aber wir haben sie meistens am falschen Ort. Wir haben uns bisher nur für ein Kinderzimmer entschieden, das in meiner Wohnung liegt. Aber wir können keinen Internetvertrag teilen (warum eigentlich nicht?) und wir heizen im Winter natürlich auch zwei Wohnungen. Wir versuchen, je nach Jobsituation und Lebenslage eine ausgeglichene Regelung zu finden. Bei uns scheint es in vielen Bereichen ähnlich zu laufen, wie bei Anne Dittmann. Wir wohnen im gleichen Quartier (ich habe meine Wohnung übrigens auch bekommen, weil die Vermieterin uns als getrennt lebende Eltern unterstützen wollte), wir sprechen uns mehrmals die Woche miteinander ab und wenn die Deadlines im Büro drücken, spielen wir gemeinsam Tetris mit Unterrichtszeiten, Kindertanzstunden und guten Freunden. Trotzdem muss ich an dieser Stelle einwenden, dass die Care-Arbeit mehr bei mir lag und liegt und ich immer wieder dafür kämpfen muss, dass sich der Papa genauso kümmert wie die Mama. Auch wir, bei allem guten Willen, tappen in alte Muster aus unserer eigenen Erziehung und plötzlich liegt wieder viel zu viel bei mir ohne, dass es jemand bemerkt hätte. Und dann habe ich mal ausgerechnet, was uns die getrennte Lebenssituation in den vergangenen Jahren zusätzlich gekostet hat. Danach war mir kotzübel. Eigentlich können wir uns die Trennung gar nicht leisten!

"Getrennt zu leben hat sich keiner ausgesucht und es ist schon herausfordernd genug. Ich persönlich benötige dafür aber keine schulterklopfende Anerkennung, sondern eine ganz realitätsbezogene Aufmerksamkeit, wie man uns als Familie unterstützen kann."

Aber was fehlt uns denn jetzt als Familie und warum sind wir so müde?

Eigentlich fehlt mir das, was uns doch allen fehlt und was sich in einer Kolumne nicht zusammenfassen lässt: gute, tragfähige, bezahlbare Strukturen in der Schule und an unseren Arbeitsplätzen sowie bezahlbarer Wohnraum, zum Beispiel. Und darüber hinaus fehlt mir noch die gesellschaftliche Anerkennung einer Normalität: Um mich herum leben so viele getrennte Eltern. Die meisten davon leben im selben Quartier, verstehen sich einigermaßen gut und ziehen ihre Kinder gemeinsam groß. Die Verwunderung darüber, dass ich getrennt lebe und vor allem auch, dass wir unsere Tochter gleichberechtigt und freundschaftlich miteinander erziehen, trifft mich trotzdem verblüffend oft. Gut gemeinte Sätze wie „Ihr macht das aber richtig gut miteinander“ kann ich dann eigentlich nur schmunzelnd (oder auch mal irritiert bis wütend) zurückgeben. „Ihr nicht?“ Mir fehlen Wochen, in denen ich bei meinem Arbeitgeber keine besondere Aufmerksamkeit für meine Situation als Mutter oder Frau einfordern muss. Auch meine Chefs haben Kinder bekommen und auch sie sind sich bewusst darüber, dass gute Arbeit kein Geschlecht kennt. Aber ich muss viel zu oft laut aussprechen, was normal sein sollte. Das alles kostet zusätzliche Kraft!

Getrennt zu leben hat sich keiner ausgesucht und es ist schon herausfordernd genug. Ich persönlich benötige dafür aber keine schulterklopfende Anerkennung, sondern eine ganz realitätsbezogene Aufmerksamkeit, wie man uns als Familie unterstützen kann. Ich habe von vielen Dingen zu wenig: saubere Wäsche, eine Umarmung, Geld zum Sparen, jemanden, der meiner Tochter abends ein Buch vorliest, während ich schonmal die Spülmaschine ausräume. Aber von einigen Dingen eben auch mehr: kinderfreie Abende mit Freund:innen beim Lieblingsitaliener, sehr gut sortierte Finanzen. Ich kommuniziere in Partnerschaften viel öfter meine Bedürfnisse und stehe bei meinem Arbeitgeber öfter für meine Meinung ein. Wir würden es wieder machen: die wundervolle Tochter miteinander bekommen und wir würden uns auch jederzeit wieder trennen, wenn es nötig wäre. Wir sind durch die Trennung sehr gleichberechtigte Eltern und auch emanzipierte Partner geworden. Und auch, wenn wir hier definitiv öfter als zuvor an unsere kräftemäßigen und finanziellen Grenzen kommen, fühle ich mich für die Zukunft besser aufgestellt als ich es innerhalb eines noch nicht hinterfragten und traditionell verankerten Familienbildes war.

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