solo selbst ständig Anne Dittmann
Foto: Birte Filmer

Solo, selbst & ständig: Anne Dittmann über Burnout, das Wechselmodell und warum sie den Begriff „getrennterziehend“ irreführend findet

Wisst ihr, was gut ist? Dass es Menschen gibt, die ihren Finger in die Wunde legen. Strukturelle Missstände laut ansprechen – weil sie sie selbst erleben oder erlebt haben. Anne Dittmann ist eine dieser Menschen. Als Singlemom weiß sie, wie nah Burnout, Depression und schwierige Lebensverhältnisse beieinander liegen können. Umso mehr macht sie sich für Alleinerziehende stark, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Alleinerziehende wirklich brauchen. Im Gespräch hat die Journalistin uns von ihrem Buch erzählt und uns erklärt, warum sie den Begriff "getrennerziehend" nicht immer gut gewählt findet.

Danke liebe Anne, für deine offenen und ehrlichen Worte!

Liebe Anne, ehe du und der Vater deines Kindes euch auf die Erziehung eures Sohnes im Wechselmodell geeinigt habt, warst du alleinerziehend. Ein Burnout, Depressionen und prekäre Lebensverhältnisse sind jene Erfahrungen, die du aus diesem Lebensabschnitt mitgenommen hast …

Das Burnout hatte ich mit 27, da war ich seit eineinhalb Jahren alleinerziehend. Und ich erinnere mich noch genau: Ich saß an meinem Arbeitsplatz in der Redaktion und plötzlich ging gar nichts mehr. Ich wollte mich am liebsten auf den Boden legen und weinen. Aber weil man das als erwachsene Person im Arbeitsumfeld besser nicht tun sollte, meldete ich mich wegen „Übelkeit“ bei meiner Chefin ab, fuhr nachhause, zog die Gardinen zu, verkroch mich unter der Bettdecke und heulte dort. Ich wollte nichts mehr sehen und auch keine Gedanken mehr denken – alles war zu viel. So kannte ich mich gar nicht und darum ging ich am nächsten Tag zu meinem Hausarzt. Der schrieb die Diagnose Burnout in meine Akte. Das größte Problem war wohl, dass mir nichts in meinem Leben wirklich Kraft gab und zu viel in meinem Leben mir Kraft abverlangte; sich allein um ein Kleinkind zu kümmern ist anstrengend und bei der Arbeit habe ich wegen meiner Teilzeit auch kaum spannende Aufgaben bekommen. Also war die Idee: Ich kündige und mache mich selbständig.

Wurde es finanziell dadurch einfacher?

Nein, eher schwerer, denn kein Jahr später kam schon die Pandemie – und damit auch ein Auftragsstopp in sämtlichen Redaktionen. Ich musste, wie so viele Menschen in kreativen Berufen, Hartz IV anmelden. Auch in dieser Zeit gab es vor allem Sorgen und so gut wie keine Kraftquellen. Die Welt ging durch eine Pandemie, ich hatte Angst um die Zukunft meines Kindes, versuchte gleichzeitig für ihn zuversichtlich zu bleiben und ging durch ein berufliches Tief. Das ging auch mit einem Mangel an Geld einher. Und wenig Geld zu haben bedeutet auch weniger gesellschaftliche Teilhabe, ergo: Einen viel zu engen Rahmen an Möglichkeiten wie etwa an Kleidung, Spielzeug oder eine funktionierende Waschmaschine zu kommen. Alles muss ewig recherchiert, tausendfach durchdacht und ausgerechnet werden. Armut wirkt wie eine Art unsichtbare Fessel. Klar, dass man dann direkt auch noch Depressionen kriegt. Zum Glück kam ich aber Ende 2020 an einen Therapieplatz und habe heute keine Depressionen mehr – sicher auch, weil ich wieder mehr Geld habe und das Leben dadurch jetzt leichter ist.

Aus deinen persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen der letzten Jahre ist ein berufliches Projekt geworden: Dein Buch „solo, selbst & ständig“ erscheint im April. Es ist ein Wut- und Mutmachbuch für Alleinerziehende – erzähl uns davon!

Mein Verlag hatte mich ursprünglich für einen Ratgeber angefragt. Und ich glaube, dass Rat durchaus helfen kann, denn es gibt tatsächlich Stellschrauben und überlebenswichtige Infos, die Alleinerziehende nach einer Trennung nicht nachgeworfen bekommen – auch wenn das vom Jugendamt, der Kita oder Schule doch schlau wäre. Aber Infos allein bringen Einelternfamilien eben auch nicht auf den gleichen Stand wie Paarfamilien! Viele von ihnen werden trotzdem noch zu wenig Zeit und zu wenig Geld haben, um sich vor der Altersarmut zu bewahren. Der Grund dafür ist: Unser System ist auf das Versorger- und Hausfrauenmodell ausgelegt bzw. geht es allmählich ins Doppelverdiener*innenmodell über – da werden Alleinerziehende nie mithalten können. Und immer mehr Eltern trennen sich bevor ihre Kinder volljährig sind! Wir brauchen also ein neues System, das sich diesen Lebensrealitäten anpasst. Und nein, die Kindergrundsicherung, wie sie aktuell für 2025 geplant wird, ist eben nicht genug. Sie macht es Alleinerziehenden eigentlich nur leichter, die ihnen zustehenden Leistungen auch zu bekommen. Weil die Kindergrundsicherung das Leistungswirrwarr zu einem Paket schnüren wird. Aber dieses Paket macht es Alleinerziehenden auch nicht leichter, sich im Arbeitsmarkt vollwertig zu integrieren. Es ist also politisch noch viel zu tun. Und diesen Umstand können wir nicht ignorieren! Darum ist mein Buch ein guter Mix aus Ratgeber, Sachbuch mit politisch-feministischen Rants und eigenen Geschichten – teils von mir, teils von anderen Alleinerziehenden.

Welche Tipps und Wegweiser aus deinem Buch hättest du dir selbst nach der Trennung vom Vater deines Kindes gewünscht?

Vermutlich alle, denn ich habe genau das Buch geschrieben, das ich gebraucht hätte. Ich habe keine einzige Zeile verschwendet und mein Buch bis zum Rand vollgepackt mit allen Informationen, die ich für wichtig erachte, um nach einer Trennung wieder Kontrolle ins eigene Leben zu bekommen – Ohnmacht ist nämlich eines der destruktivsten Gefühle und kann ernsthaft krank machen. Am dringendsten hätte ich damals wohl Tipps für den Umgang mit meinen Gefühlen gebraucht statt toxischer Positivität, die alles nur noch schlimmer gemacht hat. Ich hätte zudem eine Liste gebraucht, wo ich wie finanzielle Unterstützung herkriege. Viele Alleinerziehende struggeln mit ihrem Einkommen, darum zeige ich in meinem Buch immer wieder strukturelle Probleme auf, denn für Armut können Alleinerziehende schlicht nichts. Es ist wichtig zu wissen: Ich bin nicht schuld, das System ist nur nicht für Single-Eltern gemacht. Zudem erzähle ich – neben vielen anderen Geschichten von Alleinerziehenden – meine eigene Geschichte fernab von Gut und Böse; ich erzähle vom Ringen mit Angst und destruktiven Gedanken und vom Zusammenraufen zweier getrennter Eltern, die einerseits Abstand brauchen und andererseits zusammenarbeiten wollen, um ihr Kind zu schützen.

"Ich kann oft gar nicht glauben, dass Alleinerziehende für minderwertige, ungebildete, inkompetente Menschen gehalten werden – nur weil sie eben ihre Kinder allein oder getrennt begleiten."

Ein Spagat, der sicher sehr herausfordernd ist …

Einen Weg in dieser Widersprüchlichkeit zu finden ist unglaublich hart, aber doch möglich, wenn beide sich Mühe geben. Mein Buch ist aber nicht nur für Eltern geschrieben, die bereits getrennt sind. Sondern auch für diejenigen, die eine Trennung erwägen; hier gebe ich die wichtigsten Tipps, was vorher gesichert werden sollte – insbesondere was die Finanzen angeht. Ich finde nämlich: Alle Familienmitglieder haben ein Recht auf eine sichere Trennung.

Der Begriff „getrennterziehend“ hält ein gewisses Image inne: Menschen, die als Paar nicht funktioniert haben, funktionieren aber dennoch als Eltern. Wie stehst du dazu?

Das klingt so einfach wie Schlussmachen. Aber in der Realität ist es ein gemeinsames Projekt, an dem zwei Ex-Partner*innen ständig arbeiten müssen – über Jahre hinweg. Schon allein beim Thema Geld: Getrennterziehende Eltern müssen gemeinsam zwei Kinderzimmer zahlen können, doppelt Möbel, Kleidung, Spielzeug, Urlaube ... Darum würde ich sagen, dass getrennterziehende Eltern finanziell eigentlich zwei alleinerziehende Eltern sind. Das kostet: Der Unterhalt fällt weg. Es gibt auch aktuell keinen Anspruch auf einen Kindergeldzuschlag, denn der ist nur für „echte“ Alleinerziehende, bei denen das Kind einen Lebensmittelpunkt hat. Kein Wunder, dass die wenigsten Eltern das Modell leben (können). Man muss auch bedenken, dass dieses Modell nur funktioniert, wenn beide in der Nähe voneinander wohnen, sodass das Kind jeweils die Kita oder Schule gut erreichen kann und nicht bei jedem Wechsel aus seinem Sozialleben gerissen wird. Da muss also schon allein strukturell einiges stimmen. Der Vater meines Kindes hat zum Beispiel seine Wohnung zwei Straßen weiter nur bekommen, weil die Hausverwaltung den sozialen Aspekt stark gewichtet und gesagt hat: Wenn ein getrennter Elternteil sich bewirbt und der*die Ex in der Nähe wohnt, bevorzugen wir diese Person. Wer hat so etwas schon mal gehört? Ich fand das unglaublich toll und wir als Familie profitieren davon nun jeden Tag!

Was gibt es noch zu beachten?

Dass Eltern im Wechselmodell viel stärker miteinander kooperieren müssen als wenn ein Elternteil quasi die „Führung“ übernimmt und der andere Elternteil die Besuchstage übernimmt. Mein Ex und ich sprechen uns beinahe täglich miteinander ab, koordinieren Termine, notwendige Besorgungen wie neue Winterschuhe und so weiter. Der Mental Load wird dadurch nicht weniger. Ich finde den Begriff „Getrennterziehend“ daher irreführend. In politischen Debatten bezeichne ich meinen Ex und mich daher lieber als je alleinerziehend. Denn die (vor allem finanzielle) Unterstützung für die Gleichberechtigung, die wir hier auch schaffen, lässt auf struktureller Seite noch viel zu wünschen übrig – wir tragen das meiste privat.

Auf Instagram hast du dir in den vergangenen Jahren eine starke Community rund um das Thema allein- und getrennterziehende Eltern aufgebaut. Ich stelle mir das sehr empowernd vor – aber vielleicht hier und da auch frustrierend, wenn Schilderungen anderer Betroffener aufzeigen, wie viel Ungleichheit und Stigmatisierung gegenüber Allein- bzw. Getrennterziehenden (noch immer) herrscht …

Ich bin dann eher fassungslos. Wahrscheinlich kommt das auch daher, dass ich mit einer alleinerziehenden Mutter in Berlin aufgewachsen und zudem ostsozialisiert bin. Ich kann oft gar nicht glauben, dass Alleinerziehende für minderwertige, ungebildete, inkompetente Menschen gehalten werden – nur weil sie eben ihre Kinder allein oder getrennt begleiten. Dabei trifft doch eher das Gegenteil zu: Alleinerziehende erwerben allein aus ihrer Situation heraus besondere Kompetenzen! Wie riesig dieser Stellenwert der traditionellen Familie in weiten Teilen unserer Gesellschaft immer noch ist, das finde ich gruselig und komplett daneben.

Wenn Eltern sich trennen, sind die Trennungen häufig nicht das Problem, sondern der gesellschaftliche Umgang damit. Wie reagierst du auf das häufig verwendete Narrativ des „leidenden Trennungskindes“?

Erstmal schaue ich, ob ich gerade die Zeit und Kraft habe, mich schon wieder mit noch einer Person diesbezüglich auseinanderzusetzen. Dann frage ich nach den Bildern, die diese Menschen in ihren Köpfen haben und begleite sie durch ihre eigenen Ängste, die mit der frisch getrennten Nachbarsfamilie meist nichts zu tun haben. Viele glauben, Kinder könnten nicht gesund aufwachsen und später selbst keine gesunden Beziehungen führen, wenn sich ihre Eltern getrennt haben. Dieses Denken müssen wir endlich angehen – und das mache ich auch in meinem Buch. Ich habe mich durch groß angelegte Studien gewühlt und mit Expert*innen gesprochen, die mittlerweile einstimmig sagen: Die Trennung der Eltern macht Kinder sogar resilienter, sozial kompetenter und feinfühliger, wenn sie gut begleitet wird. Und ehrlich gesagt: Ich freue mich jedes Mal, wenn Eltern sich trennen. Ich sehe das als Chance für die ganze Familie, denn die Eltern können sich jeweils um sich selbst kümmern und die Kinder wachsen mit der Gewissheit auf, dass Beziehungen auch beendet werden können, wenn sie nicht gut tun. Ist das nicht ein schönes Statement und Learning für die Kinder?

Blicken wir einmal auf die Zahlen und Fakten: 88% der Alleinerziehenden in Deutschland sind Mütter und das Wechselmodell wird in rund 4% der Trennungsfamilien gelebt. Was machen diese Zahlen mit dir?

Emotional nichts. Ich denke nur: Ja, natürlich ist das so! Die Zahlen sind für mich die logische Folge einer Politik, die das traditionelle Familienbild vor allen anderen Familienformen fördert. Es beginnt beim Ehegattensplitting, das die größte Steuerersparnis für Familien dann ermöglicht, wenn in einer Ehegemeinschaft ein Elternteil zuhause bleibt und der andere Elternteil möglichst viel verdient. Und wenn sie sich trennen, dann kehrt sich das Care-Modell nicht plötzlich um, sondern wird meist sogar noch extremer – Beispiel Wochenend-Daddys. Und wenn Eltern die Betreuung dann doch 50:50 organisieren wollen, werden sie auch hier fallengelassen und die wichtigsten Leistungen wie Unterhaltsvorschuss oder Kindergeldzuschlag fallen weg. Sowohl vor als auch nach einer Trennung werden Mütter politisch an die Care-Arbeit gebunden und Väter befreit. Das meine ich, wenn ich sage: Ja, logisch sehen sie Zahlen so aus.

"Das Leben als Alleinerziehende*r ist hart. Wirklich hart! Aber sich nicht deswegen in die nächstbeste Liebesbeziehung zu flüchten und stattdessen andere Lösungen zu finden wird sich am Ende auszahlen."

In einer deiner wunderbaren Kolumnen für „Solomütter“ hast du einmal geschrieben, dass du und deine Dating-App in einer On-off-Beziehung leben. Wie datet es sich als selbstständige Singlemom?

Es ist ein Dilemma: Einerseits sind Dating-Apps heute der place to be, wenn man jemanden kennenlernen will und gerade Alleinerziehenden, die abends ihre Kinder ins Bett bringen müssen, verschaffen Apps einen Zugang zum Singlemarkt. Andererseits scheint es für mich nicht zu funktionieren. Ich persönlich brauche eine lebendige Mimik und Gestik, um eine Person so interessant zu finden, dass ich mir Zeit freischaufeln würde, um sie zu treffen. Aber das gibt es per App nicht, da sieht man nur Fotos. Außerdem scheinen einige dort doch recht schreibfaul zu sein und nur auf Matches aus. Ich denke manchmal: Auf Apps kann man sich vorgaukeln Menschen zu „besitzen“, denn man hat sie gematcht (mehr Dopamin-Booster wollen viele scheinbar gar nicht) und in der Kontaktliste – und auf die kann man zugreifen, wann immer man will. Ganz unverbindlich. Und genau das suche ich nicht. Auf der anderen Seite kenne ich einige Paare, die sich über Dating-Apps kennengelernt haben, zwei davon heiraten sogar dieses Jahr! Und ihre Liebe ist der Beweis, dass diese Apps doch etwas können – ein Marketing, das mich doch immer wieder zurückholt. Dazu Studien, die auch mit hoffnungsvollen Zahlen locken, wie: Fast jede*r zweite hat den*die Partner*in online kennengelernt. Ich persönlich habe in den vergangenen Monaten die besten Erfahrungen damit gemacht, Leute direkt anzusprechen und nach einem Date zu fragen, wenn ich sie attraktiv finde. Das hat einen ganz anderen Nervenkitzel und macht Spaß.

Letzte Frage: Du bist – ganz wie dein Buch – solo, selbst und ständig. Welches persönliche Learning aus den vergangenen Jahren möchtest du Allein- oder Getrennterziehenden gerne mit auf den Weg geben?

Das Leben als Alleinerziehende*r ist hart. Wirklich hart! Aber sich nicht deswegen in die nächstbeste Liebesbeziehung zu flüchten und stattdessen andere Lösungen zu finden wird sich am Ende auszahlen. Nach sieben Jahren als Single habe ich ein besonderes Gefühl für meine eigene Selbstwirksamkeit und ein starkes Selbstvertrauen erlangt. Ich fühle mich weder einsam noch allein – sondern nur ohne Partner*in.

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