Marie Luise Ritter Vom Glück allein zu sein
Foto: Maria Braun Studio

Marie Luise Ritter, warum haben wir Angst vor dem Alleinsein?

Die Sache mit dem Alleinsein. Für viele von uns der ultimative End- und Angstgegner. Für andere wiederum ein Gefühl, in Frieden mit sich zu leben und voll bei sich zu sein. Ganz egal, an welchem Ort wir uns gerade befinden. Wir haben uns mit Marie Luise Ritter über das Alleinsein unterhalten. Als @luiseliebt schreibt sie seit vielen Jahren über ihre persönliche Reise und hat dem Alleinsein ein ganzes Buch namens "Vom Glück allein zu sein" gewidmet. Im Interview verrät uns Luise, wie sie gelernt hat, allein sein zu können, warum die Gesellschaft in Sachen Alleinsein zwischen Frauen und Männern unterscheidet und inwiefern sie sich durch das Alleinsein selbst besser kennenlernen durfte.

Hab vielen Dank für deine ehrlichen Worte, Luise!

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Luise, woher, glaubst du, kommt bei vielen Menschen die große Angst vor dem Alleinsein? Verwechseln sie sie möglicherweise mit der Angst vor Einsamkeit?

Wir sind ja soziale Wesen, wir sehnen uns nach Gesellschaft und Miteinander und leben auch in einer extrovertierten Gesellschaft, in der viele Kontakte natürlich eine Art „Status“ darstellen. Ich glaube auch, dass viele Menschen komplette Stille nicht ertragen können, weil sie Angst vor ihren Gedanken haben und sich dann mit sich selbst auseinandersetzen müssten. Allein sein schafft einen eigenen Resonanzraum genau dafür, sich mit tieferen Dingen zu beschäftigen. Zum Beispiel mit den Fragen: Wie geht es mir wirklich? Bin ich gerade glücklich? Bin ich auf dem richtigen Weg in meinem Leben? Permanente Gesellschaft überdeckt das, weil man immer beschäftigt ist. Ich glaube, dass Menschen vor dieser Stille unterbewusst Angst haben, weil man nicht weiß, was das mit einem und den eigenen Emotionen und Gedanken macht.

Konntest du schon immer gut allein sein oder gab es vielmehr einen Prozess, den du durchlebt hast?

Ich bin zwar gern allein, aber es gab Sachen, die ich früher nicht allein gemacht habe. Also klar, war es ein Prozess. Ich glaube, dass es am Anfang immer ungewohnt ist, wenn wir Dinge plötzlich allein machen, die wir sonst mit anderen Menschen zusammen gemacht haben. Jedes erste Mal war irgendwie komisch für mich, ob es das erste Mal reisen oder das erste Mal allein im Restaurant sitzen war. Immer, wenn ich es dann ein Mal gemacht habe, habe ich gemerkt, dass es eigentlich gar nicht so schlimm ist. Wir sind darauf gepolt, Dinge in einer Gemeinschaft zu tun und wir müssen Sachen immer erstmal neu besetzen, damit es normal und damit auch angenehm werden kann. Ich glaube, es ist wichtig, über seinen Schatten zu springen. Wenn wir uns Dinge trauen, macht uns das immer und immer mutiger.

"Ich denke, jedem Menschen tut es gut, mal eine gewisse Zeit in seinem Leben allein verbraucht zu haben und zu merken: Ich kann auch alles allein hinkriegen und mich auf mich selbst verlassen."

Glaubst du, dass man das Alleinsein lernen kann?

Ja, auf jeden Fall! Ich glaube, oder möchte glauben, dass man an allem an sich irgendwie arbeiten kann, wenn man das möchte. Wenn man das Alleinsein lernen will, ist das, glaube ich, diesen Zustand als Normalität für sich zu betrachten, Dinge zu tun, die außerhalb der eigenen Komfortzone liegen, sich nicht zu vergleichen oder generell nicht im Außen zu sein („was denken andere über mich?“) und einfach ganz bei sich zu bleiben, und diesen Zustand nicht als Mangel sondern als gleichwertig oder einfach anders erfüllend zu empfinden.

Was ist mit Menschen, die in einer Beziehung sind? Können sie Alleinsein lernen und müssen sie eigentlich allein sein können?

Vor allem in einer Beziehung verlernt man es ja schnell, mal nur auf sich gestellt zu sein. Ich bin aber der Überzeugung: So richtig gut lieben kann man nur, wenn man die Liebe nicht zum Überleben braucht. Ich glaube nicht, dass man nur als Single allein sein kann. Mein Buch zum Beispiel richtet sich genauso an Menschen, die in einer Beziehung sind. Auch mit Partner*in kann man sich ja Zeit für sich selbst nehmen. Ich glaube, gerade dort ist allgemein wichtig, dass man voneinander getrennt sein eigenes Leben führt, mit eigenen Freundschaften. Aber hier stellt sich natürlich die Frage: Kann man in einer Beziehung überhaupt lernen, allein zu sein?

Inwiefern hat das Alleinsein dich in deinem Leben verändert oder sogar bestärkt?

Mir hat es vor allem dabei geholfen, mich selbst kennenzulernen. Zu merken, dass man allein sein kann, verleiht Kraft. Man lernt so viel über sich selbst, was die eigenen Bedürfnisse sind, Grenzen zu setzen, mehr bei sich zu sein. Für mich hat das viel Schönheit, sich von innen heraus stärker zu fühlen. Und ich bin davon überzeugt, dass man sich auf dieser Grundlage auch viel besser auf etwas Neues einlassen kann. Weil man dann ganz genau weiß, was man will und was man nicht will. Mit dem Wissen, dass man eigentlich niemanden braucht, ist man viel mehr bei sich, wenn man jemanden an sich ranlässt. Und dann laufe ich nicht Gefahr, mir jemanden zu suchen, nur weil ich nicht allein sein möchte. Ich denke, jedem Menschen tut es gut, mal eine gewisse Zeit in seinem Leben allein verbraucht zu haben und zu merken: Ich kann auch alles allein hinkriegen und mich auf mich selbst verlassen. Egal welche Challenge kommt, ich kriege die auch ohne andere Menschen bewältigt. Dieser Gedanke hat eine extrem große Selbstwirksamkeit, zu merken, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann und alles habe, was ich brauche.

"Bei Frauen, die allein sind, greifen Narrative wie die typische Cat Lady. Männern wird es gesellschaftlich mehr zugestanden, allein zu sein und diesen Zustand auch genießen zu dürfen."

Marie Luise Ritter Vom Glück allein zu sein

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Welche Rolle spielt die Gesellschaft, wenn es um das Alleinsein geht?

Eine große! Wir lernen von klein auf, dass wir einen Partner oder eine Partnerin finden müssen. Auf jeder Ebene lernen wir, „Du bist komisch, wenn du alleine bist, denn normalerweise bist du zu zweit“. Ich glaube, diese Angst kommt daher, dass wir nicht von Geburt an mitgegeben bekommen „Mach dein Ding doch einfach allein!“.

Werden deiner Meinung nach Frauen und Männer in diesem Zusammenhang anders betrachtet, zum Beispiel, wenn sie Single sind?

Auf jeden Fall! Ich glaube, Frauen trauen sich weniger zu, allein zu sein. Männer, die allein sind, gelten als sexy Junggesellen. Bei Frauen, die allein sind, greifen Narrative wie die typische Cat Lady. Männern wird es gesellschaftlich mehr zugestanden, allein zu sein und diesen Zustand auch genießen zu dürfen. Bei Frauen wird direkt hinterfragt, warum das so ist, wieso sie niemanden finden, etc. Studien sagen aber, dass Frauen besser allein sein können als Männer. Das liegt daran, dass Frauen sich besser mit sich selbst beschäftigen, mit ihren eigenen Gefühlen umgehen und sich Verletzlichkeit erlauben können. Das hat viel mit der „männlichen Stärke“ zu tun, die in der Gesellschaft immer noch eine präsente Erwartungshaltung ist. Das führt dazu, dass in Frauenfreundschaften häufig eine viel tiefere Intimität herrscht als in Männerfreundschaften. Dadurch finden Frauen im Gegensatz zu den meisten Männern in ihrem Leben auch allein Zugang zu ihren Bedürfnissen als Männer. Letztere brauchen zur Befriedigung des Bedürfnisses Nähe meistens eine Beziehung, weil sie diese in den meisten Männerfreundschaften nicht finden können. Und Studien haben belegt, dass Männer auch aus diesem Grund schlechter allein sein können, weil ihnen ohne Beziehung der Zugang zu Emotionen fehlt.

"Die große Angst beim allein essen gehen ist ja häufig, dass alle einen anstarren und sich fragen, wieso man keine Freund*innen oder keine*n Partner*in hat, mit denen man zusammen essen gehen kann. Für mich war der größte Twist, zu bemerken, dass andere Leute sich gar nicht für mich interessieren – im positiven wie im negativen."

Auf deinem Instagram-Kanal gibst du viele Einblicke, wie es ist, allein zu reisen. Findest du, dass jeder Mensch einmal allein verreist sein sollte in seinem Leben?

Nein auf keinen Fall, das würde ich mir nicht anmaßen, zu behaupten. Für manch einen ist das ja ganz und gar nichts. Ich glaube, dass es sehr heilsam und bereichernd sein kann, aber jeder von uns ist ja dennoch individuell.

Sind dir während deiner Reisen alleine dennoch auch mal nicht so schöne oder herausfordernde Situationen passiert, in denen du dir gewünscht hättest, nicht allein zu sein?

Definitiv. Sie allein zu durchleben, hat mich aber nur stärker fühlen lassen.

Lass uns auf eine typische Situation blicken, wenn es um das Alleinsein geht: alleine in ein Restaurant gehen. Wie blickt die heutige Luise auf die Luise von damals, die zum ersten Mal alleine essen gegangen ist?

Die große Angst beim allein essen gehen ist ja häufig, dass alle einen anstarren und sich fragen, wieso man keine Freund*innen oder keine*n Partner*in hat, mit denen man zusammen essen gehen kann. Für mich war der größte Twist, zu bemerken, dass andere Leute sich gar nicht für mich interessieren – im positiven wie im negativen. Menschen sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie auf andere Leute viel weniger achten, als wir denken. Ich habe gemerkt, dass ich damit völlig entspannt sein und mir selbst den Druck nehmen kann.

Wie ist es zu deinem aktuellen Buch „Vom Glück, allein zu sein“ gekommen?

Vor fünf Jahren war ich das erste Mal allein reisen. Ich fand es ganz schlimm. Ich wusste nicht, wohin mit mir, was ich den ganzen Tag allein machen soll und konnte mit mir selbst nichts anfangen. Ich schreibe immer Tagebuch, wie es mir geht und was ich erlebe und über die letzten Jahre habe ich gemerkt, wie sehr sich mein Gefühl zum Alleinsein verändert hat. So ist das Buch entstanden. Ich habe gesehen, wie viel sich in mir verändert hat und wie gern ich inzwischen allein bin. Ich habe selbst diesen Entwicklungsprozess von Ich-bin-gar-nicht-gern-allein hin zu Ich-genieße-die-Zeit-mit-mir selbst so sehr durchlaufen, sodass ich das weitergeben, Menschen inspirieren und ermutigen will.

Gibt es trotz deiner positiven Einstellung zum Alleinsein dennoch auch mal Momente, in denen du dich einsam fühlst?

Klar! Diese Moment hat jede*r.

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