Alexa Grassmann sie lieben
Malwine Zeiseler

Alexa Grassmann, wie wichtig sind persönliche Geschichten hinter einem Coming-out?

Im Prolog zu "sie lieben" schreibt Alexa Grassmann folgendes: Ich habe immer nach Identifikationsfiguren gesucht. In dieser Welt, in der es unzählige Geschichten gibt wie meine. Im Verborgenen, nicht erzählt. Beiläufig und wichtiger denn je, will ich den Fokus auf diese kleine, meine Geschichte legen.

Genau das tut Alexa in "sie lieben". Ganz ehrlich. Ungeschönt. Indem sie uns mitnimmt auf ihre ganz persönliche Reise zwischen vorgelebten Normen und dem Bruch mit Stigmata unserer heteronormativen Gesellschaft. Dabei stellt sie die Frage aller Fragen: Wie kann Liebe falsch sein? Wir haben mit Alexa im Interview über ihr Buch, Wandel und Selbstfindung gesprochen – hab vielen Dank für deine Worte, Alexa!

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Wer sollte „sie lieben“ lesen?

Es mag den Anschein erwecken, dass das besonders queere Menschen und Frauen tun sollten – dabei wäre es am besten, wenn gerade (cis-)Männer einmal reinlesen. Und das tun sie zum Glück auch. „sie lieben“ ist eine Mischung aus Autobiographie, persönlichen Gedanken im Tagebuchstil und Sachbuch, da sich hier und da auch Statistiken und Grafiken finden.

Stand das Konzept des Buches für dich von Anfang an fest oder hat es sich im Lauf des Schreibens erst zusammengefügt? Nimm uns doch einmal mit auf die Entstehungsreise.

Ich wusste, worüber ich schreiben will - ich schreiben muss. Ich wollte ein Buch schreiben, dass ich mir selbst immer gewünscht habe. Ich habe schon immer geschrieben, deswegen war das für mich ein ganz natürlicher Prozess - Worte, die längst gesagt werden wollten.

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Wie waren die ersten Reaktionen auf „sie lieben“?

Auf der Buchpremiere habe ich aus dem Kapitel über mein Coming-out im familiären Kreis gelesen und wurde selbst emotional, und es gab einige Tränen im Publikum. Die ersten Reaktionen von Leser:innen haben mich sehr berührt. Im Selbstfindungsprozess, den ich in „sie lieben“ beschreibe, finden sich viele wieder, weil er universell ist. Wir sind nicht allein, wir sind so viele, die sich finden möchten und sich dabei übermannt fühlen, überfordert, mal verloren, mal orientierungslos.

Welchen Rat würdest du heute deinem jugendlichen Ich mit auf den Weg geben?

Wandel ist für uns als Gesellschaft selten einfach. Es ist eine Herausforderung, die Personen, die wir waren, die wir sind und die wir sein wollen in Einklang zu bringen. Es ist meist kein bequemer Weg. Also hab Vertrauen, dass du den richtigen Weg für dich kennst. Hinterfrage was dir vorgelebt wird - und vertrau auf dein Bauchgefühl.

"Es braucht ein neues Verständnis von Sex. Noch wird Sex mit Penetration gleichgesetzt. Es braucht neue Lehrbücher mit korrekten Abbildungen der Klitoris, neue Lehrpläne, die alle Möglichkeiten für die Entfaltung unserer Sexualität aufgreifen."

Warum ist der Umgang mit der eigenen Sexualität deiner Meinung nach noch immer so schambehaftet? Wie kommen wir raus aus dieser Spirale?

Wir leben in einer patriarchalen, misogynen Welt, einer Welt, die keinen Spielraum für andere Geschlechtsidentitäten als die binären (weiblich/männlich) lässt und die uns vermittelt, dass wir heterosexuell sind. Es ist vor allem eine Welt, in der die männliche Lust im Vordergrund steht. Dass wir da rauskommen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es braucht ein neues Verständnis von Sex. Noch wird Sex mit Penetration gleichgesetzt. Es braucht neue Lehrbücher mit korrekten Abbildungen der Klitoris, neue Lehrpläne, die alle Möglichkeiten für die Entfaltung unserer Sexualität aufgreifen.

Auf Instagram steht dein Account @alexasearth für Awareness, einen Safer Space und viele positive Gefühle – unterscheidet sich deine analoge Community sehr von deiner digitalen?

Nein. Mein engster Kreis ist mein engster Kreis, weil uns unsere Werte verbinden. Viele haben selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht, ich muss nichts erklären.

"Jede queere Geschichte ist wichtig und verdient es, erzählt zu werden."

Wie begegnest du Menschen außerhalb deiner Bubble, die der Meinung sind, Lebensrealitäten wie etwa Bisexualität seien eben „nur eine Phase“?

Da wär „sie lieben“ das perfekte Geschenk. Tatsächlich unterscheidet sich meine „Autorinnenpersönlichkeit“ nicht von meiner alltäglichen. Ich gehe oft in den Diskurs und räume gern mit Vorurteilen auf, indem ich Fragen stelle und von meinen eigenen Erfahrungen erzähle. Es ist so wichtig, dass nicht nur Betroffene selbst Aufklärungsarbeit leisten, zum einen, um sie zu entlasten, zum andern, damit sich Vorurteile nicht halten und nicht von der eigenen (LGBTQIA*-)Community weitergetragen werden.

Für wie wichtig hältst du es, persönliche Geschichten hinter einem Coming-out zu erfahren?

In einer Welt, in der (immer noch) kaum Identifikationsfiguren existieren, ist das essentiell. Wenn wir sehen, dass Menschen aus der Norm ausbrechen und sie selbst sind, entsteht im Kopf die Möglichkeit, das auch zu tun, das auch zu sein. Die Sichtbarkeit gab es lang genug nicht. Jede queere Geschichte ist wichtig und verdient es, erzählt zu werden.

In einem Instagram-Post über eine Reise hast du einmal geschrieben, wie wichtig es ist, immer wieder einen Privilegien-Check zu machen und auch die eigenen Privilegien zu hinterfragen. Was genau meinst du damit?

Ein Privilegien-Check zeigt, welche Privilegien ich habe. Konkret: Ich bin cis, weiß, able-bodied (habe keine Behinderung oder chronische Erkrankung) und hatte und habe Zugang zu Bildung.

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