Eberhard Grossgasteiger
Gastbeitrag || Freundschaft zwischen freiwillig kinderlosen Frauen und Müttern: Es wird nicht wieder so, wie früher!
„Mein größter Wunsch ist, nur noch einmal einen Tag mit ihr zu haben - ganz so wie früher“, murmelte eine kinderfrei lebende Freundin, als wir uns vor kurzem über Freundschaften zwischen gewollt kinderlosen Frauen und Müttern unterhielten. Sie meinte damit ihre beste Freundin. Denn mit deren Entscheidung für ein Kind hatte sich zwischen den bei den Frauen so einiges verändert und nichts war mehr so, wie vorher.
Das Thema „Freundschaft zwischen freiwillig kinderlosen Frauen und Müttern“ beschäftigt mich seit vielen Jahren. Als kinderlos glückliche Frau mit einem Freundeskreis, der größtenteils aus Eltern besteht, könnte ich darüber wohl ein Buch schreiben.
Es gibt diesen, für meinen Geschmack etwas kitschigen Spruch, dass mit jedem neuen Kind auch eine neue Frau geboren wird. Ich weiß heute, - Kitsch hin oder her - dass da etwas dran ist!
Eine andere Freundin, damals noch kinderlos, philosophierte einmal: „Ich glaube, in dem Augenblick, in dem eine Frau Mutter wird, betritt sie einen neuen Raum. Einen Raum, zu dem kinderlose Frauen keinen Zutritt haben. Die Frauen ohne Kinder bleiben zurück und das macht es für sie dann wohl so schmerzhaft.“ Im Laufe der Jahre habe ich viele Freundinnen bei diesen „Übertritten“ beobachtet.
Das Leben dreht sich um 180° und unsere Freundschaften drehen sich gleich mit
Die erste Schwangerschaft, die ich im erweiterten Freundeskreis miterlebte, machte mich neugierig. Ich erinnere mich, dass ich ziemlich verwundert und auch ein bisschen schockiert war. Denn sowohl die Frau selbst als auch ihr Leben veränderten sich schlagartig. „Huch!“, dachte ich mir, „so hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt“. Was ich damals nicht ahnte, war: Dieser Sneak Peek, den ich da gewonnen hatte, würde sich vielfach wiederholen. Das Leben von Frauen, die Mütter wurden, drehte sich um 180°. Und unsere Freundschaften drehten sich gleich mit.
Spontane Telefonate? Schwierig!
Treffen ohne Kinder? In den ersten Monaten unmöglich.
Prioritäten? Komplett verschoben.
Es gibt diesen, für meinen Geschmack etwas kitschigen Spruch, dass mit jedem neuen Kind auch eine neue Frau geboren wird. Ich weiß heute, - Kitsch hin oder her - dass da etwas dran ist! Und irgendwie glaube ich, es muss so sein. Es ist sogar logisch, es ist schlicht notwendig, dass das passiert. Denn die Kompetenz nach einer halben Flasche Sekt noch ein Top zu bügeln, akkurat einen Lidstrich zu ziehen um dann auf High Heels zum Taxi zu rennen, ist schön und gut. Und äußerst respektabel, vor allem das mit dem Rennen auf High Heels.
Mir stellte sich die drängende Frage: Wie könnten wir einander weiterhin das sein, was wir waren: Vertraute, Komplizinnen und Schwestern - nun, da unsere Lebensrealitäten plötzlich so unglaublich unterschiedlich waren?
Oder die Jahre im Job. Die Arbeit an Karrieren, Dissertationen und die persönliche Weiterentwicklung. Diese Frauen haben Großartiges geleistet, sind wundervolle und inspirierende Persönlichkeiten. Doch um ein Kind liebevoll beim Großwerden zu begleiten – well… dafür braucht es noch einmal andere, neue Skills.
Und dann ist da noch die Müdigkeit. Da sind Sorgen, die Überlastung, aber auch: Euphorie, das pure Glück und ganz viel Liebe. Es sind Erlebnisse, die ich aus Erzählungen kenne. Gefühlszustände, die ich bei meinen Freundinnen beobachtet habe. Es sind Dinge, die ich im Zusammenhang mit Mutterschaft selbst nie erleben werde. Und das ist okay, weil ich keine Mutter sein möchte.
Wenn mit der Geburt eines jeden Kindes auch eine neue Frau geboren wird, was passiert dann mit der alten, die meine Freundin war?
Umso klarer das für mich wurde, umso ambivalenter wurden meine Gefühle zu den Schwangerschaften meiner Freundinnen. Eine Schwangerschaft ist etwas, worüber man sich freut. Ein neues Leben entsteht! Das ist ein Anlass zum Gratulieren. Natürlich.
Doch ich will ehrlich sein: Umso häufiger ich beobachte, welche Verwandlung, welche Metamorphose Frauen nach der Geburt eines Kindes durchliefen, umso schwieriger wurde es für mich, diesen zweiten roten Strich ausschließlich mit Freude zu begrüßen.
Ich fragte mich: Wenn mit der Geburt eines jeden Kindes auch eine neue Frau geboren wird, was passiert dann mit der alten, die meine Freundin war?
Es gab Zeiten, in denen ich genervt und frustriert war. Weil es mir so vorkam, als würde eine Freundin nach der anderen meine Welt verlassen und plötzlich ein ganz anderes Leben führen. Und ja, es stellte sich tatsächlich ein diffuses Gefühl des „Zurückgelassenwerdens“ ein. Obwohl ich das kinderfreie Leben für mich frei und entschlossen gewählt und diese Entscheidung nicht einen Moment bereut hatte.
Über die Gastautorin:
Sina Scheithauer ist Coachin & childfree by choice. Auf ihrer Website sina-scheithauer.de und dem dazugehörigen Blog erzählt sie von ihrer persönlichen Reise zur Selbstbestimmtheit und hilft Frauen* dabei, mit Blick auf die Kinderfrage raus aus dem Gedankenkarussell und rein in ein erfülltes Leben zu kommen.
Wenn beide Seiten das wirklich wollen, ist es möglich, Freundschaften zwischen gewollt kinderlosen Frauen und Müttern aufrecht zu erhalten.
Mir stellte sich die drängende Frage: Wie könnten wir einander weiterhin das sein, was wir waren: Vertraute, Komplizinnen und Schwestern - nun, da unsere Lebensrealitäten plötzlich so unglaublich unterschiedlich waren? Was könnte ich meiner Freundin in dem Moment raten, in dem sie so erschöpft von durchwachten Nächten ist, dass sie weinend am Tisch sitzt und auf ihrem Stuhl fast einschläft? Durfte ich mir überhaupt erlauben, derselben Freundin ein paar Tage später von meinen Herausforderungen im Job zu erzählen? Kann man die jeweiligen Belastungen gegeneinander aufwiegen? Und warum sollten wir das tun? Wie könnte ich meine veränderte Lebensrealität als kinderfreie Frau in einer Welt voller Mütter in Worte fassen? Durfte ich davon schwärmen, wie sehr ich meine Freiheit genieße? Wie erklären, dass mein Leben weder eine Party, noch das einer Mittzwanzigerin war. Denn ich war schließlich selbst längst keine mehr.
Die Unterschiede wogen plötzlich schwerer als das, was uns einst verbunden hatte
Ich erinnere mich an Phasen, in denen drei Wochen des Einander-Verpassens verstrichen, bis eine Freundin und ich es schafften, einen vielleicht 30-minütigen Time Slot zum Telefonieren zu finden. Es war, als würden wir plötzlich in verschiedenen Zeitzonen leben.
Und wie so manche Fernbeziehung fielen einige meiner Freundschaften diesem Jetlag zum Opfer. Gespräche stockten oder blieben oberflächlich. Sie kamen oft gar nicht mehr zustande, weil wir uns nicht mehr kannten. Es scheiterte nicht am Willen, es scheiterte am Verständnis. Denn die Unterschiede wogen plötzlich so viel schwerer, als das, was uns mal verbunden hatte.
Manchmal ärgerte und verletzte es mich, wenn ich von einer für mich sehr wichtige Sache berichten wollte und die Antwort meiner Freundin so etwas war wie: „Ja, das kann ich… Nein Ella, nein! Nicht die Banane…sorry ich höre dir zu - red ruhig weiter…Nein, Ella! Bitte nicht!“ war.
Und dann wieder versuchte ich selbst mein Bestes, mich in diese andere Welt einzufühlen.
Zum Beispiel, als eine Freundin Schwierigkeiten beim Abstillen hatte. Ich versuchte, mich zurückzuhalten mit Tipps à la „Du musst dabei aber auch an dich denken!“ Weil ich spürte, dass es so easy peasy eben nicht war, wenn ein kleiner Mensch involviert ist.
Es ist möglich, diese Freundschaften aufrecht zu erhalten - wenn beide Seiten das ehrlich wollen
Ich hatte zwei Erkenntnisse:
Nummer eins: Eine kinderfreie Frau braucht ein Netzwerk mit anderen kinderfreien Frauen.
Und es ist an uns, aktiv auf die Suche zu gehen. Uns zu verbinden über unsere gemeinsame Lebensrealität. Die Gespräche mit Frauen, die genauso fühlen wie ich, haben für mich unglaublich viel verändert. Mich gelassener gemacht, auch im Hinblick auf Freundschaften, die sich verändert haben.
Die zweite Erkenntnis: Wenn beide Seiten das wirklich wollen, ist es möglich, Freundschaften zwischen gewollt kinderlosen Frauen und Müttern aufrecht zu erhalten.
Auf die Freundschaft. Auf uns!
Dazu gehört ehrliches Interesse. Fragen zu stellen und zuzuhören. Es geht um die Bereitschaft, einander neu kennenzulernen. Sich gegenseitig wertzuschätzen in den Herausforderungen und Möglichkeiten, den Tiefen und den luftigen Höhen, die das jeweilige Lebensmodell zu bieten hat.
Für einander da zu sein, im wahrsten, physischen Sinne des Wortes. Und zwar so oft wie möglich. Aufeinander zuzugehen, immer wieder. Aber auch Abstand zu geben, wenn er benötigt wird.
Ein Auge zudrücken und das zweite auch. Feste zu feiern, wie sie fallen.
Auf gemeinsame Momente zurückzublicken und bewusst neue zu kreieren.
Ich habe verstanden: Es geht weniger darum, etwas füreinander zu tun, sondern vielmehr darum, zu verstehen und füreinander da zu sein. In der letzten Zeit habe ich oft an dieses Bild mit dem Raum zurückgedacht. Diese Vorstellung, dass eine Frau einen neuen Raum betritt und ihre Freundin außen vor lässt, hat mir schon damals nicht gefallen. Und mittlerweile glaube ich, diesem Bild fehlt einfach nur ein ganz entscheidendes Detail: Denn vor diesem Raum, da steht eine Holzbank. Ein bisschen rau und abgenutzt von vielen Besucherinnen.
Und in lauen Sommernächten, wenn alles stimmt, die Kids schlafen und das Diensthandy Ruhe gibt, dann treffen wir uns dort. Mit einem Aperol Spritz.
Wir erzählen wir uns aus unserem Alltag, aus unseren Leben: Von den richtig geilen Momenten, die nach Sonne schmecken und den Schatten, die uns frösteln lassen. Von dem, was Kraft spendet und was wütend macht. Wir lachen, bis uns der Bauch wehtut und manchmal weinen wir auch. Zusammen.
So quatschen wir die ganze Nacht durch!
Und in diesen Nächten ist es nicht wie früher - sondern anders. Es ist so wie heute.
Auf die Freundschaft. Auf uns!
[…] Zu Sinas Gastbeitrag "Freundschaft zwischen freiwillig kinderlosen Frauen und Müttern: Es wird nich… […]