Interview Linda Biallas Mutterschaft
Foto: Mike Auerbach

Im Gespräch mit Linda Biallas: „Ich war überrascht, wie normal alle finden, dass ich als Mutter für alles zuständig sein soll“

Linda Biallas aus Berlin ist Mitte Zwanzig, als sie ungeplant schwanger wird. Sie entscheidet sich für das Kind – und wird alleinerziehende Mutter. Der Feminismus der jungen Mutter wird plötzlich mit Fragen und Herausforderungen konfrontiert, die zuvor nie eine Rolle gespielt hatten. Denn was macht in einer männlich dominierten Welt eigentlich eine "gute Mutter" aus? Welche Rolle spielt Feminismus konkret für Mütter in diesem patriarchalen und kapitalistischen System, in dem wir leben? Und warum sind die Ansprüche an Mütter und Väter so unterschiedlich? Linda entschließt sich, all diese Fragen – und ihre Antworten – in einem Buch zusammenzufassen, denn in einer Sache ist sie sich absolut sicher: Schlichte Symptombekämpfung reicht nicht, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Mit uns hat die Sozialarbeiterin aus Berlin über ihre eigene Mutterwerdung gesprochen. Über ihre Wut und darüber, was sie mit dem Wissen von heute ihrem jugendlichen Ich sagen würde, das gerade frisch alleinerziehend geworden ist. 

Danke für deine Worte, liebe Linda!

 

Liebe Linda, beschreib uns dein Buch „Mutter, Schafft“ in drei Worten.

Fundierte, verständliche Gesellschaftskritik

Und jetzt gerne ausführlicher.

In „Mutter, schafft“ geht es darum, dass die schwierigen Bedingungen, denen Mütter unterworfen sind, wie die schwierige ökonomische Situation, also die mangelnde finanzielle Absicherung, aber auch das mit sexistischen Verhaltensweisen, und dem Muttermythos konfrontiert sein, sowie die mangelnde gesellschaftliche Teilhabe von Müttern weder Zufall, noch privates Problem aufgrund von schlecht organisierter „Vereinbarkeit“ sind, sondern zwangsläufige Konsequenzen aus Patriarchat und Kapitalismus. Und natürlich darum, dass wir etwas anders machen müssen, wenn wir anders leben wollen.

Linda Biallas: Mutter, schafft. Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat: ein Aufruf zur Revolution, hier bestellen

Du bist mit Mitte 20 ungeplant schwanger und ungewollt alleinerziehend geworden. Was hat diese Erfahrung mit dir gemacht?

Einerseits habe ich gelernt, sehr viel und effizient zu arbeiten. Wenn da niemand ist, mit dem man Aufgaben teilen kann, muss man eben alle Aufgaben selbst erledigen. Manchmal wird einem ja nahelegt, dass das eigentlich eine gute Sache sei, vor allem in Bezug auf die Arbeitsmarktverwertbarkeit. Das sehe ich ein bisschen anders. Ich halte wenig davon, für Mütter zu normalisieren, ständig nah an der eigenen Belastungsgrenze zu operieren, oder diese häufiger zu überschreiten, da das letztendlich nicht dauerhaft funktioniert, ohne körperlich oder mental einen Preis dafür zu zahlen. Auch in dieser Hinsicht bin ich froh, dass wir uns in meiner Familie die Carearbeit mittlerweile fair aufteilen.

Viele glauben daran, dass Frauen und Männer längst gleichberechtigt sind. Bis sie ein Kind bekommen und merken „Hmm, irgendwie läuft das Ganze hier jetzt doch nicht so gleichberechtigt“. Erzähl uns von deinen Erfahrungen diesbezüglich.

Die Retraditionalisierung, die in Heterofamilien üblicherweise nach der Geburt des ersten Kindes stattfindet, ist letztendlich in erster Linie eine Retraditionalisierung in Bezug auf das Erwerbsverhalten. Nach dem ersten Kind arbeiten Väter nicht nur Vollzeit, sondern machen auch später Feierabend als Männer ohne Kinder, und Frauen arbeiten gar nicht, oder in Teilzeit. Im Hinblick auf viele andere Punkte kann man auch vor der Geburt des ersten Kindes nicht von Gleichberechtigung sprechen. Frauen verdienen auch ohne Kinder in unserer Gesellschaft weniger Geld, sind von Sexismus und sexueller Gewalt betroffen, werden weniger ernst genommen, verächtlich gemacht, und auch die Geschlechterrollen in der Liebesbeziehung sind nicht auf Augenhöhe angelegt, sondern Frauen sind dafür zuständig, sich um die Beziehung zu kümmern, und Männer sind dafür zuständig von der Beziehung zu profitieren.

Wie sehr hat sich deine damalige Vorstellung vom Mutterwerden von dem tatsächlichen Muttersein unterschieden?

Ich war überrascht, wie normal alle finden, dass ich als Mutter für alles zuständig sein soll, und der Vater ganz easy aus der Verantwortung entlassen wird. Das steht ja inhaltlich offensichtlich in einem krassen Kontrast zu dem sonst üblichen Narrativ davon, dass Männer und Frauen als gleichberechtigt gelten. Ich fand an der Stelle nicht nur erstaunlich, wie sehr sie das offensichtlich insbesondere in Bezug auf Elternschaft nicht sind, sondern auch, dass dieser Widerspruch von vielen gar nicht wahrgenommen wird.

Lass uns über Carearbeit sprechen. Welche essentiellen Baustellen gilt es hier zu beseitigen?

Dass Carearbeit machen nicht dazu führen sollte, dass Mütter sich in Abhängigkeitsverhältnisse begeben müssen, ein hohes Armutsrisiko in Kauf nehmen und insgesamt viel Arbeit und wenig Absicherung haben, liegt ja auf der Hand. Darüber hinaus sollten wir auch berücksichtigen, dass eben nicht nur die finanzielle Absicherung von Müttern wichtig ist, sondern auch die Möglichkeit für Freizeit und insgesamt selbstbestimmte Lebensgestaltung, was in Bezug auf das mit Kindern leben auch bedeutet, dass da noch jemand anderes ist, der sich kümmert.

Was hat dich deine Mutterschaft in den letzten Jahren gelehrt?

Ich denke es sagt allgemein sehr viel über die Gesellschaft aus, wie wir mit Müttern umgehen. Für mich war das eine große Motivation, das Buch zu schreiben. Nicht nur, weil es da inhaltlich jede Menge Redebedarf gibt, sondern auch, weil auch in sich als progressiv oder feministisch verstehenden Zusammenhängen Mutterschaft selten ein Thema ist, wenn keine persönliche Betroffenheit vorliegt, obwohl Mutterschaft eines der großen Themen ist, an denen sich die negativen Auswirkungen vom Zusammenwirken von Kapitalismus und Patriarchat entfalten.

Welche Mama-Skills magst du besonders an dir?

Wenn ich die Gesellschaft in Bezug auf Mutterschaft kritisiere, denken Menschen manchmal, es ginge um „regretting motherhood“, welches ja auch nicht zufällig in eben dieser Gesellschaft stattfindet. Das ist auch wieder mal so ein Punkt, wo gesellschaftliche Problemlagen individualisiert werden. Trotz aller berechtigten Kritik lebe ich aber sehr gerne mit meinen Kindern und mag sehr, dass ich mir im Privaten nicht so viel Stress mache, irgendwelche stereotypen Bilder von der guten Mutter zu erfüllen.

Was würdest du mit dem Wissen von heute deinem damaligen Ich sagen, das gerade frisch alleinerziehend geworden ist?

It‘s gonna be okay!

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