Regretting Motherhood
Foto: Marie Bleyer Fotografie

Wiebke von Piepmadame über Regretting Motherhood: „Ich lebe Mutterschaft heute anders, als es mir im Rahmen meiner Sozialisierung beigebracht wurde“

Was, wenn man als Mutter einem vermeintlichen Ideal hinterherjagt, aber irgendwann feststellt, sich innerhalb dieser vermeintlichen Idealvorstellung nicht wohlzufühlen? Genau diese Erfahrung hat Wiebke gemacht. Auf ihrem Instagram-Kanal Piepmadame schreibt die zweifache Mama aus Wien über feministische Mutterschaft, ehrliche Elternschaft und Regretting Motherhood – und legt damit nicht selten den Finger in die Wunde. Weil das Thema rund um Regretting Motherhood ein Tabu ist, über das noch immer sehr wenig gesprochen wird. Ein Tabu, das es zu brechen gilt. Mit uns hat Wiebke im Interview über das Bild der „guten Mutter“, den ehrlichen Umgang mit ihren Kindern und die Sache mit dem Muttermythos gesprochen.

1000 Dank für eine wichtigen, ehrlichen und mutmachenden Worte, liebe Wiebke.

Auf Instagram zeigst du den Menschen einen ehrlichen und ungeschönten Einblick in deine feministische Mutterschaft. Gab es diesen einen Schlüsselmoment in deinem Leben als Mama, in dem du gemerkt hast, dass du dem vermeintlichen Idealbild der „perfekten Mutter“ nicht entsprichst bzw. nicht mehr entsprechen willst?

Nicht wirklich. Es war vielmehr ein Prozess, der sich über Jahre aufgebaut und entwickelt hat. Als ich vor achteinhalb Jahren in meine Mutterschaft gestartet bin, war ich noch sehr romantisch verblendet. Für mich war damals klar, dass ich mit dem Baby zu Hause bleibe – ich war recht unreflektiert, aber damals gab es für mich auch noch nicht den feministischen Austausch, der heute stattfindet. Ich hatte weder Instagram während dieser Zeit noch kannte ich feministische Blogger*innen. Als meine Tochter dann etwa ein halbes Jahr alt war, habe ich mir Instagram runtergeladen – damals war die App aber noch eher ein wunderschönes Fotoalbum, in dem es viele beige Kinderzimmer mit jeder Menge Holzspielzeug anzusehen gab. Mir ging es damals um das Verbildlichen eines Ideals. Dennoch hatte ich Probleme in der Mutterschaft, meine Tochter hat damals kaum geschlafen, sodass ich zum Beispiel keinerlei Kapazitäten hatte, mich auch um mich zu kümmern. Die Elternzeit mit meiner Tochter war für mich persönlich im ersten Jahr ein ziemlicher Überlebenskampf. Dazu kam, dass ich mir die Zeit zu Hause wirklich romantisch vorgestellt hatte.

Wie sah diese romantisierte Vorstellung aus?

In meiner Vorstellung spielte mein Kind, während ich daneben saß und ein Buch las oder etwas kochte – aber so war es einfach nicht. Sie war 24/7 an mir, ich habe sie ein Jahr lang nur getragen und all das war sehr auslaugend für mich. Insofern konnte ich all das nur sehr wenig genießen oder Freude empfinden – und lange Zeit habe ich gedacht, dass ich einfach nicht gut genug bin in dem, was ich da mache, denn scheinbar war meine Tochter ja unzufrieden mit mir. Ich habe die Schuld also lange bei mir gesucht.

Fand während dieser Zeit ein analoger Austausch mit Menschen in deinem persönlichen Umfeld statt?

Leider nicht. Ich hatte damals noch nicht wirklich viele Mama-Freundinnen in meinem Umfeld. Zwar gab es eine Freundin, die zeitgleich mit mir schwanger war, doch ihr Kind hat bereits nach sechs Monaten die Nächte durchgeschlafen – eine Tatsache, die in mir nur noch mehr den Gedanken „Ok, wow“ auslöste. Ansonsten haben die anderen Menschen in meinem Umfeld gearbeitet und ihr normales Leben gelebt, von dem ich mich total herausgenommen gefühlt habe. Auch der Besuch in Spielgruppen war mit meiner Tochter nur schwer möglich, sie wollte es einfach nicht. Sie wollte einfach immer nur bei mir sein und somit hatte ich nur wenig Möglichkeiten, am Leben teilzunehmen. Ich habe dann irgendwann eine Freundin kennengelernt, die auch ein „schwieriges“ Baby hatte: Wir saßen damals beide in der Spielgruppe auf dem Boden – alle Kinder um uns herum haben gespielt. Nur unsere Kinder nicht, die hingen am Busen, obwohl sie schon über ein Jahr alt waren. Während dieser Zeit begann der erste ehrliche Austausch.

Das erste Jahr als Mutter war also sehr herausfordernd und auch einsam …

Absolut, ich habe mich sehr alleine damit gefühlt, nach diesem Mutter-Ideal zu streben, es aber nicht genießen zu können. Ich wusste aber auch nicht, wie ich aus dieser Schuldspirale herauskomme. Mamas haben immer ein schlechtes Gewissen, wegen allem. Wegen nicht hübsch genug angerichteter Brotboxen oder weil die Kinder zehn Minuten zu spät ins Bett gehen. Dafür braucht es nicht einmal zwingend den Instagram-Tweet, der eine hohe Erwartungshaltung generiert. Manchmal reicht auch schon die Erwartungshaltung der Schwiegermutter oder der Nachbarin, die komisch schaut, wenn das Kind mal nicht gescheit angezogen ist. Vor allem beim ersten Kind ist man so unsicher und möchte alles gerne richtig machen, aber eigentlich hat man gar keine Ahnung. Es wird aber erzählt, man müsse Ahnung haben. Weil wir doch Frauen sind. Und am Ende sitzt man dann zu Hause und hat keine Idee, was zu tun ist. Und in genau dieser Situation brauchen Mütter eine Person, die sie an die Hand nimmt und ihnen sagt: Du bist nicht schuld. Es ist dieses Bild, was uns immer noch erzählt wird und das uns so wenig Raum für individuelle Mutterschaft lässt. Denn alles wird bewertet. Dabei sollte doch jeder einzelne Weg vielmehr wahrgenommen werden als das, was es ist: als Menschen, die Kinder haben. Und da sollten die Wege doch unterschiedlich sein, weil wir eben alle unterschiedlich sind.

Wie waren damals – sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt – die Reaktionen, als du konkret über Regretting Motherhood gesprochen hast?

Analog ist das überhaupt kein Drama. Mit Blick auf das Digitale war und ist es etwas herausfordernder. Ich kannte Instagram damals schon, muss aber gestehen, dass mich die Reaktionen dann doch etwas überrascht haben. Ich war davon ausgegangen, dass meine damalige Bubble schon etwas weiter sei. Inzwischen spreche ich seit rund einem Jahr über dieses Thema und stelle fest, in meiner Bubble sehr gut aufgehoben zu sein. Die meisten verstehen meinen Ansatz – natürlich kommen aber auch immer neue Accounts dazu, die zunächst ihren Trigger überwinden müssen, um sich dann auf konstruktiven Austausch einzulassen. Spreche ich analog mit Menschen über Regretting Motherhood ist es wirklich unaufregend. Wenn ich im persönlichen Gespräch erzähle, dass ich mich mit dem Wissen, das ich heute über Mutterschaft habe, nicht mehr für Kinder entscheiden würde, sind die Reaktionen empathisch und verständnisvoll.

"Die wissenschaftliche Bezeichnung „Regretting Motherhood“ wird häufig sehr negativ verstanden, weil sich viele Menschen an dem Aspekt des „Bereuens“ stören. Aber vielleicht muss der Begriff auch weh tun, damit die Menschen zuhören und annehmen können. Erst dann kann damit gearbeitet werden."

Wie kommt deiner Ansicht nach diese Schere zwischen den analogen und digitalen Reaktionen zustande?

Die Crux im Digitalen ist, dass die Menschen nur Mini-Ausschnitte aus dem Leben anderer sehen. Erst kürzlich habe ich wieder eine Nachricht bekommen, in der geschrieben wurde, ich würde immer so viel über meine Mutterschaft jammern und nie die schönen Seiten sehen und zeigen. Hier muss man verstehen, dass die Postings nicht mein ganzes Leben abbilden. Wer mich hingegen im Real Life mit meinen Kindern sieht, wird verstehen, dass ich eine ganz normale Mama bin, die ihre Kinder lieb hat. Der politische Teil meiner Mutterschaft ist eben nur ein Teil dessen und macht nicht meinen gesamten Alltag aus. Ich möchte den Menschen bei Instagram aber auch nicht uneingeschränkt private Einblicke gewähren. Meine Kinder sind zwar nicht unpräsent auf meinem Account, aber sehr wohl dosiert. Ich möchte nicht ihren gesamten Alltag filmen, um zu beweisen, dass ich trotzdem für sie die beste Mutter bin, die ich sein kann. Bedeutet: Diese Momente sind nicht sichtbar. Was hingegen sichtbar ist, ist mein politischer Ansatz. So entsteht in der Wahrnehmung vieler Nutzer*innen aber ein Ungleichgewicht, von dem sie sich getriggert fühlen.

Wann hast du das erste Mal von Regretting Motherhood gehört?

Das war während des ersten, schwierigen Jahres mit meiner Tochter. Damals gehörte ich noch zu den Müttern, die vollends überzeugt davon waren, dass Mutterschaft das Beste ist, was im Leben einer Frau passieren kann und konnte somit nur wenig damit anfangen. Ich hatte einen Zeitungsartikel zu dem Thema gelesen, mich aber mit der Studie selbst und den Interviews mit Betroffenen nicht weiter befasst. Inzwischen habe ich das natürlich nachgeholt und finde es so wichtig, dass mehr darüber gesprochen wird. Dabei sollten wir uns vielleicht auch ein Stück weit von der Begrifflichkeit lösen. Die wissenschaftliche Bezeichnung „Regretting Motherhood“ wird häufig sehr negativ verstanden, weil sich viele Menschen an dem Aspekt des „Bereuens“ stören. Aber vielleicht muss der Begriff auch weh tun, damit die Menschen zuhören und annehmen können. Erst dann kann damit gearbeitet werden. Denn solange die Scham für unsere Gefühle überwiegt, können wir nicht annehmen, sondern gehen daran kaputt.

Wie kann deiner Meinung nach also der Muttermythos gebrochen und Elternschaft neu gedacht werden?

Ich glaube, dass die jüngeren Generationen hier eine entscheidende Rolle spielen werden. Mir begegnen häufig junge Menschen mit einem großen Bewusstsein und Respekt für Themen wie Geschlechteridentitäten oder Sexualität. So weit war ich damals mit 21 noch nicht. Vielleicht muss sich eine Art Butterfly-Effect einstellen und genau das ist auch der Grund, warum ich weitermache auf Instagram. Denn ich hoffe, dass ich viele Mütter oder auch Frauen, die keine Mutter sind, erreiche und dass diese meine Botschaft weitertragen, weil sie sich gestärkt fühlen. Ich weiß natürlich, dass ich alleine die Politik nicht verändern kann, das ist auch nicht mein Ansatz. Mein Ansatz ist vielmehr, Frauen auf die Frage vorzubereiten, ob sie sich Kinder wünschen oder nicht und sie darauf vorzubereiten, was in einer Mutterschaft passieren kann. Ganz unaufgeregt soll Wissen vermittelt werden. Zum Beispiel darüber, dass es passieren kann, nach der Geburt an einer Wochenbettdepression zu leiden. Oder dass man eben Mutterschaft bereuen kann. Und dass all diese Gefühle passieren dürfen – wichtig ist der Austausch. Denn häufig wird das Wesentliche verwechselt: Auch ich habe Wunschkinder bekommen. Ich wollte so sehr Mutter werden. Und es war wirklich schlimm, diesen Traum loszulassen und einen neuen Lebensweg für sich zu schaffen. Umso wichtiger ist es, Frauen von ihrer Schuld zu befreien und sie an die Hand zu nehmen auf ihrem Weg zu individueller Mutterschaft.

Wie lebst du deine persönliche Mutterschaft heute?

Ich lebe Mutterschaft heute anders, als es mir im Rahmen meiner Sozialisierung beigebracht wurde. Früher bin ich gewissen Idealen immer hinterhergerannt. Dass ich diese aber nie erreichen konnte, hat mich total zermürbt. Und auch wenn ich mich heute nicht mehr für Kinder entscheiden würde, kann ich jetzt meine Mutterschaft so individuell gestalten und leben, dass ich trotzdem glücklich bin.

"Es gibt nicht nur die Ich-bin-so-superglücklich-Mütter und die Ich-bereue-die-Mutterschaft-Mütter. Es gibt ganz viel dazwischen. Und wer wie fühlt, kann man niemandem vorschreiben."

Lassen sich Kritiker*innen deinen Ansatz um Regretting Motherhood erklären oder hast du auch mal das Gefühl, sie wollen partout kein Verständnis aufbringen?

Ich glaube, hier ist es wichtig, das Ganze nicht nur Schwarz oder Weiß zu sehen. Es gibt nicht nur die Ich-bin-so-superglücklich-Mütter und die Ich-bereue-die-Mutterschaft-Mütter. Es gibt ganz viel dazwischen. Und wer wie fühlt, kann man niemandem vorschreiben. Wer das nicht versteht und hier ein absolutes Unverständnis aufbringt, will vermutlich nicht in den Austausch gehen und an dieser Stelle ziehe auch ich mich dann aus der Diskussion zurück.

Du hast eingangs erzählt, das Bereuen deiner Mutterschaft war ein langer Prozess. Nimm uns einmal mit zurück in die Zeit, in der dein zweites Kind geboren wurde.

Heute weiß ich, dass ich vor der Geburt meines zweiten Kindes noch nicht da war, wo ich jetzt bin. Vielleicht wurde mein persönlicher Prozess auch durch die Pandemie beschleunigt. Zwischen meinen Kindern liegen fünf Jahre gewollter Altersunterschied, weil ich selbst die Herausforderung mit zwei ganz kleinen Kindern nicht wollte. Doch durch Corona fiel all die Unterstützung und das Netzwerk, das ich mir über fast fünf Jahre aufgebaut hatte, weg. Somit brach auch die Vorsorge dafür, dass es mir möglicherweise nicht wieder so schlecht ging, wie mit meiner Tochter im ersten Jahr, auch weg. All das hat mein Bewusstsein rund um Regretting Motherhood sicherlich beschleunigt, weil ich erneut mit meiner Figur als Mutter und dem Paradoxon zwischen Liebe und Reue gehadert habe.

"Ich habe mir nicht ausgesucht, so zu fühlen und ich betreibe die Aufklärungsarbeit auch nicht, um Follower*innen zu sammeln. Es ist kein schönes Gefühl und es ist auch nicht schön, für diese Gefühle teilweise angefeindet zu werden."

Was wünschst du dir mit Blick auf den Austausch unter Müttern?

Dass Mütter, die ihre Mutterschaft lieben, dennoch Verständnis für meinen inneren Struggle aufbringen. Ich habe mir nicht ausgesucht, so zu fühlen und ich betreibe die Aufklärungsarbeit auch nicht, um Follower*innen zu sammeln. Es ist kein schönes Gefühl und es ist auch nicht schön, für diese Gefühle teilweise angefeindet zu werden.

Deine älteste Tochter ist acht Jahre alt. Wie beziehst du sie in deine Gefühlswelt und deine ehrlich gelebte Mutterschaft mit ein?

Gott sei Dank hat sie ja einen kleinen Bruder, der sie manchmal nervt (lacht). Aber anhand dessen kann ich ihr meine Gefühle manchmal sehr gut begreifbar machen. Denn natürlich kennt auch sie diese Momente, in denen sie mich gerne mehr für sich alleine hätte. Und trotzdem liebt sie ihren kleinen Bruder. Natürlich geht Regretting Motherhood deutlich weiter und meine Gespräche mit ihr gehen auch nicht ins Politische, aber zu verstehen, dass man sehr lieben kann und trotzdem manchmal Abstand braucht, ist ein wichtiger Skill, der generell wichtig ist zu erlernen. Das Grundgespräch liegt also in der Ambivalenz von Gefühlen.

Dir ist der Aspekt der feministischen Mutterschaft sehr wichtig. Wie leben du und dein Mann gleichberechtigte Elternschaft?

Natürlich sind wir dankbar für ein privilegiertes Leben mit flexiblen Jobs, das wir führen dürfen. Diese Kombination ist natürlich bahnbrechend für gleichberechtigte Elternschaft. Bei unserer Elternschaft ging es vor allem um das Mindset, das wir durch viele Gespräche aufbauen konnten. Wir sind beide mit sehr traditionellen Rollenbilden in unsere Ehe und die Elternschaft gegangen und ich ziehe ihn in meinem persönlichen Prozess rund um Themen wie Feminismus, Carearbeit oder Mental Load natürlich auch ein Stück weit mit.

Lässt er sich denn mitziehen?

Ja. Wir führen eine sehr glückliche Beziehung und er möchte, dass es mir gutgeht. Insofern ist er bereit, sich meine Gedanken anzuhören, mitzuziehen und mir entgegenzukommen. Natürlich haben wir aber auch unsere Struggles wegen herumfliegender Socken und nicht ausgeräumter Geschirrspülmaschinen. Ich finde es gut, dass er sich diesen Themen annimmt, aber man darf nicht vergessen, dass auch in ihm über 30 Jahre männliche Sozialisierung stecken. Alles ist ein Prozess und natürlich wünschte ich, es wäre anders. Aber in diesem Leben wird das wohl nichts mehr (lacht).

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