Selbstoptimierung
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Be Your Best Self: Wieso wir Schluss mit der Selbstoptimierung machen müssen

Selbstoptimierung. Wenn ich diesen Begriff auf Google eingebe, wird der Bildschirm überschwemmt von Schlagwörtern wie „kontinuierlicher Prozess“, „Verbesserung der persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten“ und „Ziele effizienter erreichen“. Eine Website spricht sogar davon, wie wir nicht nur das eigene, sondern das Wohl der Gesellschaft optimieren, indem wir kontinuierlich an uns selbst arbeiten. Auch auf Social Media werden wir regelrecht dazu aufgefordert, schneller und effektiver auf das eigene Glück hinzuarbeiten. Schließlich sind die Träume, für die wir nie losgegangen sind, bekannterweise das Einzige, was wir irgendwann einmal bereuen werden. Um das zu vermeiden, helfen die Tools der Selbstoptimierung. Oder?

"War jetzt der Selleriesaft oder der Beeren-Protein-Smoothie gesünder? Soll ich den Tag mit einem HIIT-Workout beginnen oder doch lieber mit Yoga oder einer ausgelassenen Tanzeinheit im Wohnzimmer? Und durch wie viele Blockaden muss ich eigentlich noch, bis ich endlich blockadenfrei bin? Nur bei einer Sache scheinen sich alle einig zu sein: Selbstoptimierung beginnt um 5 Uhr morgens."

Interessant ist, dass die Bedeutung der Selbstoptimierung im Duden etwas anders ausfällt: „jemandes [übermäßige] freiwillige Anpassung an äußere Zwänge, gesellschaftliche Erwartungen oder Ideale u. Ä.“. In alphabetischer Reihenfolge folgt gleich danach der Begriff „Selbstoptimierungswahn“, und das geht für mich eher in die richtige Richtung. Dabei will ich das Thema gar nicht schlecht reden – ich habe selbst jahrelang Ratgeber gelesen, Coachings gemacht und alles aufgesaugt, was mir dabei helfen könnte, endlich das Leben meiner Träume zu erreichen. Und es stimmt ja auch, dass wir uns nach dem täglichen Workout frischer und energiegeladener fühlen. Natürlich haben wir mehr Energie, wenn wir frische Smoothies und Grünzeug zu uns nehmen und jede Person, die schon mal meditiert hat, weiß, dass Meditation mehr Klarheit und Fokus im Kopf schafft. Langjährige, festsitzende Blockaden und Ängste abzubauen ist befreiend, tut gut, schenkt neues Selbstbewusstsein. Es ist also nicht zu bestreiten, dass all diese Dinge helfen, glücklicher und gesünder zu leben. Allerdings habe ich mich irgendwann dabei erwischt, mit den Trends in diesem Bereich nicht mehr Schritt halten zu können (was nicht bedeutet, dass ich nicht trotzdem jeden einzelnen davon ausprobiert habe): War jetzt der Selleriesaft oder der Beeren-Protein-Smoothie gesünder? Soll ich den Tag mit einem HIIT-Workout beginnen oder doch lieber mit Yoga oder einer ausgelassenen Tanzeinheit im Wohnzimmer? Und durch wie viele Blockaden muss ich eigentlich noch, bis ich endlich blockadefrei bin? Nur bei einer Sache scheinen sich alle einig zu sein: Selbstoptimierung beginnt um 5 Uhr morgens.

"Statt also innezuhalten und zu überlegen, ob die 5-Uhr-morgens-Workouts wirklich so zielführend sind, wenn mein gesamtes Nervensystem dadurch völlig überreizt wird, war für mich glasklar: Wenn ich noch nicht habe, was ich will, scheine ich irgendetwas falsch zu machen."

Jede Minute, die nicht effektiv genutzt wird, scheint verloren

Hauptsache Ärmel hochkrempeln, Gas geben, weiter hustlen – und zwar so lange, bis wir endlich erreicht haben, was wir wollen. Dabei werden alte Gewohnheiten und Verhaltensmuster aufgelöst, was das Zeug hält – schließlich können wir keine neuen Ergebnisse erzielen, indem wir das tun, was wir schon immer getan haben. Jede Woche, jeder Tag, jede Minute, die wir nicht damit verbringen, auf unser Traumleben hinzuarbeiten oder den Körper zu stählen, scheint verloren. Die „Anderen“, die ihrem gewöhnlichen Alltag und der Arbeit ohne größere Ambitionen oder übergeordnete Ziele nachgehen und es wagen, den Feierabend vor laufendem TV auf der Couch zu verbringen, werden plötzlich belächelt, teils bemitleidet, weil sie in ihrer blinden Unbewusstheit so viel verpassen …

Okay, okay, das ist vielleicht ein klein bisschen überspitzt. Aber es ist, wie es schon im Duden steht: Wenn wir einmal in die Welt der Selbstoptimierung eingetaucht sind, ist es oft schwierig, zwischen äußeren Zwängen und eigenen Idealen abzugrenzen. Als jemand, die immer auf der Suche nach Inspiration ist und gern neue Dinge ausprobiert, um das eigene Leben noch etwas glücklicher zu gestalten, habe ich mich selbst nach der anfänglichen Euphorie („Wow, das ist der Schlüssel zu all meinen Problemen!“) etwas aus den Augen verloren.

Wieso die Suche nach dem Glück uns oft unglücklicher zurücklässt

Nach der anfänglichen Verbesserung wollten sich die gewünschten und versprochenen Ergebnisse nicht so richtig einstellen. Statt also innezuhalten und zu überlegen, ob die 5-Uhr-morgens-Workouts wirklich so zielführend sind, wenn mein gesamtes Nervensystem dadurch völlig überreizt wird, war für mich glasklar: Wenn ich noch nicht habe, was ich will, scheine ich irgendetwas falsch zu machen. Also wurde mithilfe von Coaches weiter nach meinen inneren Angstblockaden gesucht und Blockade um Blockade aufgelöst. Es wurde täglich meditiert, um mich mit meinen Träumen zu verbinden und der morgendliche Kaffee weiterhin mit grünen Smoothies ersetzt, damit ich gesund und kraftvoll bin, um besagtes Traumleben aufzubauen. Das Problem dabei ist: Je mehr wir den Fokus darauflegen, endlich das große Glück zu finden, desto unglücklicher finden wir uns oft, weil uns bewusst wird, wie weit wir noch von dieser Traumvorstellung entfernt sind. Die Intention, endlich für ein glücklicheres Leben loszugehen, kann ganz schnell kippen und uns unglücklicher machen als zuvor.

Dabei sind es in Wahrheit gerade die Momente, in denen wir nicht meditieren, ständig an unserer Gesundheit arbeiten oder an irgendwelchen Glaubenssätzen feilen, die uns ganz mit uns selbst verbinden. Es sind gewöhnliche Alltagsmomente, Momente der Langeweile und des Nichtstuns, in denen wir unserer inneren Welt überhaupt die Chance geben, sich zu zeigen. Genauso, wie die völlige Überarbeitung oft eine Flucht aus dem Alltag ist, kann auch die ständige Optimierung zu einem Tool werden, das uns von unserer jetzigen Lebenssituation und unseren wahren Gefühlen ablenkt. Es ist also ein bisschen wie mit der klassischen Karotte vor der Nase: Solange wir uns an der Vorstellung des vermeintlich bevorstehenden Glücks festhalten können, solange müssen wir nicht anhalten und uns die Last ansehen, die wir jetzt mit uns tragen.

Wachstum entsteht nicht nur durch Workouts und Lösen von Blockaden

Selbstverständlich ist es nicht verwerflich, das eigene Leben und die eigene Gesundheit verbessern zu wollen und auf die eigenen Träume hinzuarbeiten – ganz im Gegenteil. Aber ich bin davon überzeugt, dass das Glück eben nicht nur mit konstanter Arbeit an uns zu erreichen ist. Dass die größte Optimierung, die wir machen können, manchmal bedeutet, abends vor Netflix zu chillen. Mein größtes Wachstum und einige meiner glücklichsten Momente habe ich beispielsweise erlebt, als ich letzten Herbst für einen Monat in Griechenland war und dort Yoga, Smoothies, und Glaubenssatzarbeit für vier Wochen gegen Nachdenklich-aufs-Meer-Starren, Zigaretten und Wein eingetauscht habe. Natürlich ist auch das nicht der „wahre“ Alltag, aber in diesen vier Wochen bin ich mir selbst zumindest näher gekommen, als ich es nach vielen Monaten der Selbstoptimierung geschafft habe.

Ich glaube, wir wachsen vor allem dort, wo wir aufhören, unser „bestes“ Selbst sein zu wollen und einfach mal für einen Moment sind, was auch immer wir gerade sind: Chaos, eine unvollendete Persönlichkeit mit Schwächen und Ängsten, mit To-do-Listen im Kopf und dem Schuldgefühl, das Workout schon wieder ausfallen zu lassen. Wenn wir in der Langeweile des Moments sitzen können und dem Vogelgezwitscher lauschen. Übrigens praktiziere ich mittlerweile wieder täglich Yoga, meditiere und ernähre mich manchmal auch gesund. Aber nur, weil ich es wirklich will – und nicht, weil ich glaube, ich müsste, um irgendetwas zu erreichen. Gilt das noch als Selbstoptimierung?

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